taz-LeserInnen-Aktion

■ Wir haben euch unsere Stimme nur geliehen

Jeden Morgen, beim Blick in den Spiegel, wenn ich mich frage, was heute meinen langen arbeitslosen Tag retten wird, wird mir zum Kotzen schwindlig. Der Oberklingone mit seiner Havanna sitzt schwer auf meinen Schultern und drückt mich nieder. Dabei finde ich sehr bald, dass es ein Irrtum ist zu glauben, man dürfe die eigene Stimme nur in der Wahlurne erheben. Dann besuche ich meinen Nachbarn, dessen arbeitsloser Tag genauso lang ist wie meiner. Was wir machen, darüber möchte ich hier nichts sagen. Aber wir lassen die Finger von Fernbedienung und Alkohol. Auch von den Zeitungen, außer von der taz.

Richard Wolf, Seeheim-Jungenheim

Die Regierung macht den Eindruck, als wäre sie – nach vielen Jahren anstrengender Regierungstätigkeit – nunmehr ans Ende ihrer gestalterischen Fantasie gekommen. Die ersten zwei Regierungsjahre sind doch der einzige Zeitpunkt, zu neuen Ufern aufzubrechen; die Zeit für politische Zumutungen, deren Auswirkungen man anschließend, bis zu den nächsten Wahlen, wieder einfangen kann. Aber es gibt keinen Aufbruch, keine Vision von einem guten Leben. Das Motto heißt: „Mehr Kohl wagen!“

Dr. Gerhard Timm, Bundesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., Bonn

Es bedarf genau dieser Regierungskoalition, um auf europäischer Ebene Sozial- und Umweltstandards auszuhandeln. Man bedenke, dass die Macht und Gestaltungsfähigkeit der Bundesregierung zugunsten einer transnationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik unumkehrbar immer stärker eingeschränkt wird. Wenn die Wähler die Gewinne der globalen Finanzströme privat und beruflich abschöpfen wollen, dürfen sie sich nicht wundern, wenn der Staat sie nicht länger auf dem Arm tragen kann.

Peter König, Berlin

2014: Reformen sofort. Es ist einfach genial, dass jetzt jede(r) sehen muss, dass man die Mitte auch mit neoliberaler Politik nicht halten kann. Wo Schröders Politik so offensichtlich den Bach heruntergeht, gibt es wirklich keinen Grund mehr, in fünfzehn Jahren bei der nächsten Linksregierung wieder den gleichen Fehler zu machen. Wenn man mit rechter Politik genauso schnell WählerInnen verliert wie mit linker, dann kann mensch das nächste Mal doch bitte ein wenig Kreativität zeigen und die eine Legislaturperiode gut nutzen: Atomausstieg sofort, Doppelpass sofort, Homosexuellenehe sofort, Vermögenssteuer sofort, Strafrechtsreform sofort ... Die darauffolgende CDU-Regierung soll es dann schwer haben, die Ergebnisse von vier Jahren erfolgreicher Politik wieder rückgängig zu machen, und wir können unseren Enkeln doch noch eine vernünftige Welt übergeben.

Malte Woydt, Brüssel

Seit 1981 bin ich grünes Parteimitglied. Nachdem die Vorhut der bündnisgrünen Machtzentrale im Kosovo-Krieg in die Soldatenstiefel gestiegen ist, bekommt Bündnis 90/Die Grünen meine Kreuzchen nicht mehr. Grüne Regierungspolitik hat das Fundament der Parteiprogrammatik längst verlassen: Junge Realos, ApologetInnen eines windschnittigen, selbstverliebten Besserverdienertums, entlarven sich als Politschickeria. Stillstand in der Asylrechtsfrage, Abkehr von sozialstaatlichen Gesellschaftsmodellen und Kleinmütigkeit in der Umweltpolitik – eine Desillusionierung übertrifft die andere. Wer internationalistisches Denken wichtig nimmt, kann sich angesichts jüngster Bestrebungen, den in der Parteisatzung verankerten Internationalen Soldaritätsfonds aufzulösen, nur noch abwenden. Diese Partei verdient die Verluste der WählerInnengunst.

Ursel Sickendiek, Bielefeld/Radebeul

Lasst die Regierung doch mal machen. Das Geschrei ist doch furchtbar – es muss gespart werden, und deshalb muss mal jemand anfangen. Kritisch für mich ist eher das Lobbytum, das macht dieses Land wirklich bald kaum noch regierbar.

Ralf Ansorge, Mühltal

Ich war immer schon ein wenig anders. Zehn Jahre lang war ich CDU-Mitglied und habe – selbst mit dem empfindlichsten Bauch- und Kopfgrimmen – meine gute alte Partei gewählt. Dann hat es mir gereicht. Die Republik schien mir in Selbstgefälligkeit und Reformunfähigkeit wiedervereinigt stecken zu bleiben. Danach habe ich grün gewählt. Wieder mit Bauchgrimmen, doch in der Hoffnung, dass endlich getan wird, was getan werden muss.

Ich hatte eine Hoffnung, und die habe ich noch! Umweltschutz nicht mehr als Exotenpark, sondern als dringend notwendiges Nein zum Raubbau. Eine Gesellschaftspolitik, die sich dem Wohle aller Menschen in diesem Lande verpflichtet fühlt und nicht diejenigen bevorzugt, denen es immer schon besser ging. Ein Umbau des Sozialstaats, der nicht das Ende der Solidarität bedeutet, wohl aber ruinöse Verkrustungen aufbricht und auch in Zukunft noch Sicherheit bieten kann. Eine Außenpolitik, in der zu den nationalen Interessen auch das internationale Interesse an den Menschenrechten, an Frieden, Sicherheit, Wohlstand und Fortschritt gehört.

Mit dem Erreichten kann ich noch nicht zufrieden sein, doch schon nach einem Jahr von einem Karren zu springen, der so tief im Dreck steckt und so schwer frei zu bekommen ist, das kommt für mich nicht in Frage. Also ist es wohl besser, ich packe weiterhin mit an. Bin ich da nun schon wieder so anders?

Matthias Braasch, Kiel

Zitat Ernst Jünger, 1927: „Wie soll jemand Bäume ausreißen, der nicht einmal den Rasen zu betreten wagt?“

Dr. Til Schulz, Frankfurt am Main

In den USA wird ein ganzer Industriezweig für die Folgen seiner Produktion gerichtlich zur Verantwortung gezogen, obwohl dort nie ein Mensch zum Rauchen gezwungen wurde. In Deutschland dagegen lassen sich die Grünen eine Diskussion aufzwingen, wie viel Entschädigung der Atomlobby zu zahlen sei, damit sie aufhört, die Bevölkerung zu verstrahlen. Ohne dass dieser die Möglichkeit eingeräumt wurde, aus eigener Entscheidung mit dem Rauchen, pardon: mit dem Einatmen wie gering auch immer verseuchter Luft aufzuhören. Ja, bist du denn von allen guten Geistern verlassen, du grüne Regierungspartei? Na, von allen guten Wählern jedenfalls mit Sicherheit. Dirk Albrodt, Wuppertal

Als die Grünen vor der Wahl das erste Mal richtig groß von der Journaille ans Licht der Öffentlichkeit gespült wurden mit „5 Mark pro Liter Benzin“, musste ich lachen und freute mich, dass nun meine „Generation“ endlich zeigen könnte, wie man neu und anders streitet: nicht schwarz/weiß, dafür/dagegen, sondern – jetzt, da alle Ohren offen standen – Umdeutung der schockierenden Nachricht in eine Richtung weisende. Ich hatte erwartet: „5 Mark, na klar! Und das ist folgendermaßen zu verstehen ...“ Wenn die Journaille einen Sachverhalt verkürzt auf den Punkt bringt, ist das doch die Chance, ein Thema breiter auszuführen, weil die Leute sich jetzt richtig angesprochen fühlen und „es wissen wollen“.

„Meine Generation“ ist halt auch nicht besser als andere, habe ich mir gesagt, es hat weh getan. Aber politikverdrossen bin ich deshalb nicht. Warum?!

Cornelia Zeul, Gönningen

Enttäuschung auch über die CDU. Wolfgang Schäuble und die restliche konservative Führungscrew ergehen sich wider besseres Wissen in anbiederndem Populismus und verhetzender Demagogie („Rentenlüge“). Politik im Sinne von Ideen und Alternativen ist bei den Schwarzen nicht zu finden.

Christian Clément, Hamburg

Ich bin immer wieder erstaunt, dass so viele WählerInnen glauben, man könne ein Staatswesen wie einen Krämerladen im Galopp umstrukturieren.

Was ich allerdings auch nicht begreife, ist, dass Errungenschaften wie die Seehofer-Reform ( ein Plus von einer Milliarde) nicht beibehalten wurden.

qMataswinta Schupp, Freiburg