Jörg Haider klopft an die Türen der Macht

Bei den österreichischen Nationalratswahlen am kommenden Sonntag bahnt sich ein Rechtsrutsch an. Die Regierungskoalition bangt um ihre Mehrheit und orakelt über neue Bündnisse  ■   Aus Wien Ralf Leonhard

Chaos, italienische Verhältnisse oder ein empfindlicher Rechtsrutsch, das sind die Szenarien, die die österreichischen Wählerinnen und Wähler am Sonntag verschulden werden, wenn es nach den düsteren Prophezeiungen von Politikern und Politologen geht. Alle Umfrageinstitute sind sich einig, dass die derzeitigen Regierungsparteien, die sozialdemokratische SPÖ und die bürgerlich-christdemokratische ÖVP, schwere Einbußen zugunsten der rechtspopulistischen FPÖ erleiden werden.

FPÖ-Chef Jörg Haider lässt sich bereits als Sieger feiern und genießt die Verunsicherung seiner Rivalen, die sich gegenseitig beschuldigen, heimlich mit ihm zu paktieren. Auch wenn die seit 29 Jahren regierenden Sozialdemokraten wohl noch einmal stärkste Partei bleiben werden, kündigen sich Umwälzungen an, wie sie Österreich seit der Regierungsübernahme der SPÖ unter Bundeskanzler Bruno Kreisky (1970) nicht mehr erlebt hat. Die Grünen, die sich nach ihrem Achtungserfolg bei den Europawahlen im Juni satte Zugewinne erhofften, werden bei dem bevorstehenden Drama Statisten bleiben.

„Auf den Kanzler kommt es an“, plakatierte die SPÖ in den letzten Tagen in leuchtendgelben Streifen auf das Porträt des grinsenden Amtsinhabers Viktor Klima, dem die Umfragen schmerzhafte Einbußen bei den Wahlen vom 3. Oktober voraussagen. „Uns kommt es auf die Menschen an“, kontert die FPÖ mit ebensolchen Überklebern auf den Plakaten von Haider und dessen Kandidaten für den Nationalrat. Die Freiheitlichen haben den ganzen Wahlkampf hindurch größeren Einfallsreichtum bewiesen und erfolgreich das Bild einer dynamischen, zukunftsorientierten Partei projiziert. Quereinsteiger, wie der Industrielle Thomas Prinzhorn, der Wirtschaftskompetenz ausstrahlt, und der Ski-Olympiasieger Patrick Ortlieb, der die Politikverdrossenen durch seine natürliche Sprache an die Urnen holt, unterstreichen diesen Eindruck. An die Pensionisten verschickte Haider einen Brief, in dem er warnt, dass die Regierungsparteien, sollten sie durch die Wahl bestätigt werden, die Renten kürzen wollen. Die in Wien plakatierten Slogans „Stop der Überfremdung“ und „Keine Gnade für Drogenhändler“, die von den Kirchen und anderen Parteien als widerliche Machwerke zurückgewiesen wurden, appellieren offenbar erfolgreich an unterschwellige Ängste des sich von Arbeitslosigkeit bedroht und durch Kopftuch tragende Frauen verunsichert fühlenden Proletariats. Alles deutet darauf hin, dass die Haider-Partei die ÖVP erstmals von zweiten Platz verdrängen und den Anspruch auf Regierungsbeteiligung anmelden kann. Zwischen 27 und 30 Prozent der Stimmen werden ihr prognostiziert. Das ist nur mehr einen Hauch von den 33 bis 34 Prozent entfernt, die die SPÖ im schlechtesten Fall einfahren dürfte.

Bei der Fernsehdebatte der Chefs aller fünf Parlamentsparteien am Donnerstag abend, die den 25 Prozent der noch unentschlossenen Wahlberechtigten die Entscheidung erleichtern sollte, wiederholte Vizekanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) seinen Entschluss, in die Opposition zu gehen, wenn seine Partei nur den dritten Platz belegt. Bundeskanzler Klima, der Haider auf keinen Fall ins Boot holen will, offerierte eine Mehrparteienregierung, für die sich aber wiederum keiner der angesprochenen Partner begeistern konnte. Eine Ampelkoalition mit den Grünen und dem Liberalen Forum (LIF) wird sich nicht ausgehen. Das LIF, das sich für Menschenrechte, Bürokratieabbau und Gleichstellung der Frauen einsetzt, muss sich glücklich schätzen, wenn es wieder die Vierprozenthürde schafft. Und die Grünen, die unter ihrem Bundessprecher, dem Wirtschaftsprofessor Alexander Van der Bellen, an Ansehen und Solidität gewonnen haben, werden angesichts der Zuspitzung der Wahlschlacht auf ein Duell Klima-Haider weniger zulegen, als erhofft. Ihr Wahlkampf, der sich gegen Fremdenfeindlichkeit und Nato-Beitritt richtete, war redlich aber für die Massen wohl zu intellektuell.

Das wahrscheinlichste Szenario, das sich aus den Orakeln im Umfeld der großen Parteien herausfiltern lässt, ist eine instabile Übergangsregierung unter Führung von Viktor Klima. In der ÖVP, wo der Königsmord nach verlorener Schlacht Tradition hat, wird sich Wolfgang Schüssel mögicherweise nicht lange halten können. Eine rechnerische Mehrheit für Schwarz-Blau (ÖVP-FPÖ) dürfte allemal gegeben sein. Wenn auch Klima stürzt, dann wird er vermutlich vom derzeitigen Innenminister Karl Schlögl beerbt, der derzeit hohe Umfragewerte verbuchen kann. Haider betrachtet ihn schon lange als „unseren besten Mann in der Regierung“ und würde in dem Minister, der die Zuwanderung auf unter Null gedrosselt hat, seinen Wunschpartner finden. In jedem Fall scheint es unvermeidlich, dass Haider, dem sein Amt als Landeshauptmann von Kärnten als Trampolin dient, über kurz oder lang die Politik noch entscheidender mitbestimmt.