Kein Triumph, sondern Mitgefühl

■ Umweltminister Trittin kommentiert Tokaimura zurückhaltend. Keine Gefahr für Europa. Ohrfeige für die 570 Professoren

Berlin (taz) – Auffällig zurückhaltend und staatsmännisch hat gestern Umweltminister Jürgen Trittin auf seiner Pressekonferenz das schwere Atomunglück in Japan kommentiert. Der Minister vermied es, die Situation politisch auszunutzen und neue Forderungen im Verhandlungspoker um den Atomausstieg an die Adresse der Energieversorger zu stellen.

Auf die Frage, ob er sich jetzt politisch bestätigt fühle, sagte Trittin: „In solch einer Situation fühlt man sich nicht bestätigt, da hat man ganz einfach Mitgefühl mit den Strahlenopfern.“ Jetzt könne es nicht um die Frage gehen, wie dieses fürchterliche Unglück am besten zu instrumentalisieren sei, sondern um Sorge und Anteilnahme. Es sei nochmals klar geworden, welches menschliche und ökologische, aber auch welches finanzielle Risiko die Atomtechnologie bedeute. Der Unfall im hochtechnisierten Japan zeige, dass diese Technik nie vollständig zu beherrschen sei.

Giftig wurde Trittin nur, als er die Initiative der 570 Professoren rügte, die sich vor drei Tagen für eine „Neubewertung der Kernenergie“ ausgesprochen und die Risiken der Atomkraft auf das Niveau eines Windrads heruntergeredet hätten. Der Unfall von Tokaimura, sagte der Grünen-Minister, sei ein „bitteres Dementi für die professoralen Leichtfertigkeiten“.

Auf die Stellungnahme des Deutschen Atomforums eingehend, die einen ähnlich katstrophalen Unfall in Deutschland weitgehend ausgeschlossen hatten, sagte Trittin: In Begriffen wie „weitgehend“ oder „nahezu“ liege das Risiko des Super-GAUs begraben. Und: „Hätten sie vor drei Tagen die Japaner gefragt, ob ihre Anlagen sicher sind, die hätten dasselbe gesagt.“

Das Umweltministerium hatte vorübergehend ein Bürgertelefon eingerichtet, weil nach Bekanntwerden der ersten Meldungen aus Japan viele besorgte Bürger, vor allem Mütter, anriefen. Das in Tokaimura freigesetzte radioaktive Inventar sei nicht mit Tschernobyl vergleichbar, sagte Trittin.

Nach frühestens zehn Tagen können Luftmassen aus Japan den europäischen Kontinent erreichen. Ob es dann noch zu einer messbaren Verstrahlung komme, sei ungewiss, aber eher unwahrscheinlich. Lothar Hahn, Mitglied der Reaktorsicherheitskommission und des Darmstädter Öko-Instituts, hält eine Strahlenbelastung in Europa ebenfalls für ausgeschlossen. Die Luftmassen müssten „um die halbe Erde herum“ und verdünnten sich dabei erheblich.

Im Streit um den Atomausstieg bringt der Unfall von Tokaimura den Grünen und dem Ökoflügel der SPD nicht nur eine neue moralische Legitimation, sondern auch einen Motivationsschub, wie gestern die Flut von Stellungnahmen bewies. Zugleich dürften Katastrophenpläne und Sicherheitsbestimmungen einer neuen, für die Betreiber nervigen Überprüfungsrunde ausgesetzt werden.

Sowohl Trittin als auch die energiepolitische Sprecherin der Grünen, Michaele Hustedt, kündigten zusätzliche Überprüfungen an. Das von der Atomwirtschaft oft kritisierte „Quälpotential“ ist wieder da. Der Sicherheitsaspekt rückt erneut in den Mittelpunkt der Debatte.

Der dramatische Fallout aus Japan hat, wie der frühere Atommanager Klaus Traube formulierte, „uns noch mal daran erinnert, dass es immer wieder zu solch schweren Unfällen kommen kann“. Glücklicherweise habe es in Japan geregnet, so dass die radioaktiven Partikel nicht in das mit 300.000 Menschen dicht besiedelte Gebiet verweht worden seien. Er erwarte, dass der Atomunfall in Japan Bewegung in die Debatte bringt.

Heftige Kritik an der Initiative der 570 Professoren kam auch von SPD-Franktionsvize Michael Müller (SPD): Der Unfall in Japan stehe im krassen Gegensatz zu den verniedlichenden Äußerungen der Professoren, die von der Wirklichkeit eingeholt worden seien. Ernst-Ulrich von Weizsäcker, Präsident des Wuppertal-Instituts, erklärte zur Kollision des Akademikerappells mit der atomaren Wirklichkeit: „Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es belustigend, aber die Bürger haben die Lügen der Experten satt.“

Der Geschäftsführer des Naturschutzbundes, Gerd Billen, hat von der rot-grünen Bundesregierung eine härtere Gangart bei den Konsensgesprächen verlangt. Falls kein zügiger Ausstieg durchzusetzen sei, müsse das Aus für die Atomkraft per Atomgesetzänderung durchgesetzt werden. Spätestens jetzt sollte auch den größten Betonköpfen klar sein, dass eine ebenso gefährliche wie kostspielige Technik weltweit keine Zukunft habe. Der Ausstieg müsse bis zum Ende der Legislaturperiode klar sein. Manfred Kriener