Allons, patrons de la patrie ...

■ Frankreichs Arbeitgeber demonstrieren gegen das Gesetz zur 35-Stunden-Woche. Auch die Gewerkschaften können sich mit dem Reformprojekt der Sozialisten nicht anfreunden

Paris (taz) – In Lyon wurde ein Zug blockiert. In Montbéliard kam es zu Handgreiflichkeiten. Und auch anderswo in Frankreich ging es hoch her, als sich gestern Arbeitgeber und Gewerkschafter zu ihren jeweiligen Demonstrationen gegen das Gesetz zur Arbeitszeitverkürzung anschickten, das von heute an in der Nationalversammlung debattiert wird. Den einen geht das zweite Gesetz zur 35-Stunden-Woche, das Arbeitsministerin Martine Aubry heute vorlegt, „nicht weit genug“, den anderen „viel zu weit“.

Die größte Organisation der französischen Patrons hatte bereits seit Wochen zu einer Demonstration gegen das „stupide Gesetz“ mobilisiert. Wer teilnehmen wollte, musste sich schriftlich anmelden und am Eingang zu dem klar umgrenzten Gelände am Westrand von Paris die Bestätigung vorlegen. Brav fanden sich dort mehrere tausend Arbeitgeber ein, von denen viele erklärten, dass sie „nicht grundsätzlich gegen die Verkürzung der Arbeitszeit“ seien, aber sehr viel „gegen den staatlichen Rigorismus“ hätten, der sie dazu verpflichte.

Zigtausende französischer Arbeitgeber haben längst betriebliche Abkommen über die Einführung der 35-Stunden-Woche unterzeichnet. Wer dies schon in der „ersten Phase“ der Arbeitszeitverkürzung getan hat, konnte Reduktionen bei den Arbeitgeberabgaben in Anspruch nehmen. Außerdem war und ist es im Rahmen von Verhandlungen über die 35-Stunden-Woche möglich, sämtliche betrieblichen Arbeitsabläufe neu zu organisieren. Zum Beispiel können die Arbeitszeiten „annualisiert“, also auf das ganze Jahr umgerechnet werden. Dadurch können die Patrons nun ihre Beschäftigten je nach Produktionsanfall weit über die bisherige Wochenarbeitszeit in den Betrieben verpflichten oder auch mal länger nach Hause schicken. Neu ordnen lassen sich auch die Pausen- und Urlaubsregelungen, die Frage der entlohnten Arbeitszeit und der „selbst zu finanzierenden“ Anwesenheit am Arbeitsplatz und viele andere Dinge mehr.

Die Möglichkeiten, je nach Betrieb ganz individuell zu flexibilisieren und außerdem noch Subventionen einzustreichen, haben viele Arbeitgeber seit Verabschiedung des ersten Gesetzes zur 35-Stunden-Woche im Sommer 1998 erkannt, genutzt und öffentlich gelobt. Zu der gestrigen Demonstration kamen diese Profiteure der 35-Stunden-Woche natürlich nicht. Mehrere Arbeitgeberorganisationen riefen sogar ausdrücklich nicht dazu auf. Deswegen fiel die Veranstaltung auch deutlich kleiner aus als die letzte Arbeitgeberdemonstration, bei der im Jahr 1982 noch 28.000 Menschen auf die Straße gingen.

Die sozialistennahe Bürgerbewegung, einzelne Grüne und die Kommunisten kritisieren, dass die sozialistische Arbeitsministerin Aubry ihr Gesetz unter dem Druck der Arbeitgeber immer weiter verwässert hat. Was ursprünglich einmal als Maßnahme gegen die Massenarbeitslosigkeit angekündigt war, hat dadurch zwar mehr Flexibilität, aber kaum neue Arbeitsplätze gebracht. Selbst die Angaben des Arbeitsministeriums, wonach rund 100.000 Arbeitsplätze dank des ersten 35-Stunden-Gesetzes neu entstanden oder nicht abgeschafft worden seien, sind umstritten: In seltener Einigkeit erklären Arbeitgeber und Gewerkschaften, dieser Arbeitsplatzeffekt sei vor allem auf die gute Konjunktur in Frankreich zurückzuführen.

Der Staat lässt sich die 35-Stunden-Woche einiges kosten: Jährlich sind für Zahlungen an Unternehmen, die die Arbeitszeit verkürzen und dabei eventuell – aber nicht zwangsläufig – neue Arbeitsplätze schaffen, rund 120 Milliarden Franc (ca. 37 Mrd. Mark) bereitgestellt. Nach der ersten Einführungsphase der Arbeitszeitverkürzung soll die 35-Stunden-Woche ab dem kommenden Jahr für alle mittelständischen und großen Unternehmen zur Pflicht werden.

Bei der heute beginnenden Debatte muss Aubry sich auf heftigere Kritik von der Linken als von den Konservativen einstellen. Um das Schlimmste zu verhindern, haben die linken Koalitionspartner vier Änderungsvorschläge vorbereitet: Sie wollen die Vergabe von öffentlichen Mitteln für Arbeitszeitverkürzung an die Bedingung knüpfen, dass nur Arbeitgeber, die Arbeitsplätze schaffen, öffentliche Hilfen bekommen. Zweitens wollen sie dafür sorgen, dass Überstunden jenseits von 35 Stunden ab sofort besteuert werden. Drittens verlangen sie, dass das Gesetz eine „effektive Arbeitszeit“ in dem Gesetz festlegt. Und zum Schluss wollen sie erreichen, dass die berufliche Weiterbildung auch künftig Bestandteil der Arbeitszeit bleibt. Dorothea Hahn