Kronzeuge verurteilt

■ Ein Mafia-Aussteiger wurde rückfällig. Jetzt muss er für 27 Jahre ins Gefängnis

Rom (taz) – Wende in der Behandlung von Kronzeugen in Italien: Ohne nennenswerten Strafnachlass hat das Schwurgericht Palermo einen der wichtigsten Mafia-Aussteiger zu 27 Jahren Gefängnis verurteilt: Balduccio di Maggio, 46, hatte wieder zu morden begonnen, und zwar just in der Zeit, da ihm wegen seiner Aussagen und Hilfen bei der Festsetzung jahrelang flüchtiger Mafiosi Haftverschonung gewährt worden war.

Di Maggio galt in den achtziger Jahren als einer der aufsteigenden jungen Bosse der Cosa Nostra, nachdem er im Verbund mit den Mafia-„Familien“ aus Corleone die Macht in der Kleinstadt San Giuseppe Jato südlich von Palermo übernommen hatte. Bereits nach kurzer Zeit avancierte er zur rechten Hand des Obersten aller Bosse, Toto Riina.

Nach Zwistigkeiten mit anderen Mafiosi, diversen Schießereien und einem Streit mit seinem Chef Riina floh er anfang der neunziger Jahre aus Palermo und versteckte sich in Oberitalien. Dort wurde er Anfang 1993 verhaftet – und bot sofort seine Zusammenarbeit mit den Justizbehörden an. Schon wenige Tage danach konnten Spezialeinheiten der Carabinieri den seit fast 30 Jahren untergetauchten Oberboss Toto Riina festnehmen. Das war der bisher größte Schlag, den die Polizei jemals gegen die Cosa Nostra geführt hat.

Doch di Maggio machte nicht nur über seine früheren Kumpane Aussagen. Er war es auch, der 1994 erstmals konkrete Angaben über die sogenannte dritte Ebene machte, die Zusammenarbeit des Mafia-Leitorgans „Cupola“ mit hohen Politikern. Seit 1995 steht deshalb auch der siebenmalige Ministerpräsident Giulio Andreotti in Palermo vor Gericht: Di Maggio behauptet, dass der Politiker sich mitunter mit Oberboss Riina getroffen habe und dass er selbst gesehen habe, wie Andreotti einmal den mafiosen Bruderkuss mit dem Capomafia getauscht habe. Das Urteil gegen Andreotti wird für Ende Oktober erwartet.

Dass er inzwischen wieder zum Mörder geworden ist, begründete der Mafioso in seinem Schlusswort mit einer massiven Anklage gegen die Justizbehörden: „Sie haben mich benutzt, um die großen Mafiosi zu verhaften. Dann wurde ich ihnen gleichgültig.“ So habe er sich gezwungen gesehen, seine Interessen selbst mit der Knarre zu schützen, und sei 1996 heimlich nach Sizilien zurückgekehrt, um die bereits geplanten Morde an seiner Familie zu unterbinden.

Das Gericht sah darin nur einen geringfügigen Milderungsgrund und verhängte nicht lebenslänglich, sondern „nur“ 27 Jahre. Möglicherweise hat bei diesem Urteil auch mitgespielt, dass nach dem spektakulären Freispruch gegen den auch in Perugia wegen Mordes angeklagten Andreotti die Gangart gegen Kronzeugen härter wird. Auch dort hatte sich die Anklage vorwiegend auf die Aussagen von Mafia-Aussteigern gestützt und war damit durchgefallen, weil die Aussagen am Ende alle als unglaubwürdig eingestuft wurden.

Werner Raith