Schlohweiße Isomatte

■ Claudius Hagemeister stellte im Podewil seinen Erzählband „Tanne & Quadrat“ vor

Drei Jahre mag es her sein, dass Claudius Hagemeister und ein Kollege in „Meiers Schönem Fleischsalon“ in der Moabiter Kulturfabrik vor nur zwei fremden Frauen zur Dichterlesung anhoben. Obgleich die Konstellation fraglos etwas Privates suggerierte, absolvierten beide Herren in mehr professioneller als kavaliersmäßiger Korrektheit das öffentlich Vorgesehene, bevor Künstler und Publikum ihre gemeinsame Verwunderung über das Ausbleiben weiterer Gäste (denen die Damen mutwillig Ignoranz und Unverstand unterstellten) im Sekt ertränkten. Schon damals galt Hagemeister unter Poetry-Slammern als Verheißung; inzwischen zählt er zu den seltenen Berliner Jungliteraten, die sich dem ästhetischen Kategorisierungswahn zu entziehen wissen. Am Dienstagabend präsentierte er nun sein erstes Hardcover-Buch „Tanne & Quadrat“ im Literarischen Salon der Britta Gansebohm. In Scharen strömte diesmal das Publikum, und zwar in den Adventscafé-artig dekorierten Clubraum im Podewil. Zu hören und zu besichtigen gab es dort neben Hagemeister auch seine Verlegerin Nadja Bentz, die mit „Tanne & Quadrat“ zugleich Verlagspremiere feierte: „Morpheo“ plant neben einer Reihe „Neue Deutsche Literatur“ umfangreiche Internetseiten, die als wissenschaftliches Forum dienen sollen und ab November Textbeiträge zum Thema Hysterie veröffentlichen werden (www.morpheo.de). Das schöne, so schlicht wie modern gestaltete Büchlein zum – verständlicherweise – stolzen Preis birgt auf 70 Seiten nicht weniger als zehn Geschichten, die zur Softmoderne produzierte Miniaturensammlung „Tanne & Quadrat“ sowie zwei autobiografische Texte, welche die disparaten Lebensstationen Hamburg-Klein-Flottbek, Berlin-Moabit und Baden-Baden zum Gegenstand haben. Das Inhaltsverzeichnis kündet von der thematischen Vielfalt des Oeuvres; mit „Krimi“, „Seestück“, „Splatter-Groteske“ und „Berufsfeldanalyse“ sind Texte unterzeichnet, deren Titel schlicht „Entdeckungen“, aber auch komplex „Deutsche Doggen sind weniger reparaturanfällig als heiße Öfen“ lauten.

In der Form gibt sich Hagemeisters Prosa minimalistisch und reduziert; Handlung wird zumeist durch ihr Fortlassen oder Überspringen vorangetrieben. Umso ausschweifender – dabei niemals geschwätzig – verausgabt sich der Autor im sprachlichen Detail. Längst entrücktes („schlohweiß“), aber auch zeitgenössisches („Isomatte“) Vokabular fügt sich zum oft kunstvoll hypotaktischen Lesefluss: „... und im Herzrhythmus aus offenen Wunden pulsierendes Blut besudelt den dunklen Moosgrund.“ Oder, in „Frischfisch aus Gischt“: „Vom Atem der salzwassergeschwängerten Luft sind die Nasenlöcher und Mundhöhlen der Gischter bewachsen von kantigen Salzkristallen, so daß sie ihre Münder – die Lippen von harten Salzkristallkrusten gerahmt – immer geöffnet halten und in Folge dessen mehr als wortkarg sind.“ Nichtsdestotrotz und ohne anzüglich, sondern vielmehr kulturwissenschaftlich klingen zu wollen, sind insbesondere die Oral-Performances von Claudius Hagemeister zu loben. Im mündlichen Vortrag dramatisiert er mit bedrohlichen Vokaldehnungen und knackenden Konsonanten das bereits ironisch Selbstverfasste, trotz bedachtsamer Pausen stets leicht verhetzt und schicksalsdräuend: ein tadelloser Tagesschausprecher, der begeisterte Grabreden hält. Wer den Klang der Hagemeisterschen Stimme im Ohr bewahrt, wird die Lektüre von „Tanne & Quadrat“ viele Male genussvoll wiederholen. Eva Behrendt

Claudius Hagemeister: „Tanne & Quadrat“. Geschichten. Morpheo Verlag, Berlin 1999, 70 S., 26 DM