Schlechte Zeiten, schlechte Zeiten

■ Jugendtheater X-Presso geht im Schlachthof auf „Tauchstation“

Die Jalousie runter, die Tür zu: Katja verbarrikadiert sich in ihrer Wohnung. Hängt ein Porträt ihres Lieblingspopstars Alice an die Wand, legt ein Haifischgebiss ins Aquarium und träumt sich in eine Phantasiewelt hinein, in der Alice bei ihr ist. Ihre MitschülerInnen ärgern sich über die Geheimnistuerei und gehen Katja mit neugierigen Fragen und Besuchen auf die Nerven. Irgendwann werden die Mauern um Katja – ihr Zimmer wird auf der Bühne durch ein Stück Pappmaché mit einer Tür sowie einen freistehenden Fensterrahmen symbolisiert – durch eine Gruppe von Bauarbeitern niedergerissen, die in der bisherigen Inszenierung als eine Art Pausenclowns fungierten. Und siehe da: Einer der Bauarbeiter steht auf einmal auf einer Bühne und singt genauso toll wie vorher Alice in Katjas Träumen. Von hinten sieht er auch beinahe ebenso umwerfend aus wie der Popstar. Und was lernen wir daraus? Die wahren Helden findet man im Alltag und nicht auf Postern.

So schlicht und für jedermann verständlich aufgebaut sind Handlung und Moral des Theaterstücks „Tauchstation“, das die Theatergruppe X-Presso im Kulturzentrum Schlachthof vorgestern auf die Bühne brachte. Bei „Tauchstation“ handelt es sich um die zweite größere Bühnenproduktion der jungen Amateurspieler. Glücklicherweise wurde diese simpel gestrickte Geschichte durch ein paar witzige Inszenierungseinfälle ein wenig aufgepeppt. Weil Katja ja „untertaucht“ vor der sogenannten Realität, ist während der knapp 90minütigen Inszenierung (Regie: Michael Harre/Jens Werner) beispielsweise ziemlich viel von Gewässern, Tauchern und Fischen die Rede. Die sind auch auf der überdimensionalen Leinwand zu sehen – in Form einer nächtlichen Unterwasser-Großstadt mit Wolkenkratzern und Straßenschluchten. Einmal schwimmt zwischen den Hochhäusern ein kopfloser Fisch umher.

Diesem Bild wird der Alltag, aus dem Katja geflüchtet ist, durch ein in rasender Geschwindigkeit abgespieltes Video mit über Rolltreppen dahineilenden Menschenmassen gegenübergestellt, untermalt durch dröhnenden Lärm. Manchmal sind auf der Leinwand hinter der Bühne auch die Phantasien und Ängste der Jugendlichen zu sehen, beispielsweise der Alptraum eines in Katja verliebten Mitschülers von deren Selbstmord. Der Song, der die Szenen in Katjas Wohnung gleichsam leitmotivisch begleitet und der auch beim Liveauftritt des „Handwerker-Alice“ am Ende gesungen wird, hat den Refrain „I wish I was special“. Der einzelne gegen die Gruppe, der Traumprinz gegen den Partner aus dem wirklichen Leben, das Besondere gegen die Durchschnittlichkeit... Kennen wir das nicht irgendwoher?

Besonders viele Deutungsmöglichkeiten gibt es bei „Tauchstation“ jedenfalls nicht. Davon ganz abgesehen können all diese Ausschmückungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass das darstellerische Können aller Beteiligten einfach bescheiden ist. Wenn beispielsweise die Heldin (Claudia Böttcher) von dem in sie verliebten Marco (Daniel Escher) in dessen Eifersuchtsanfall auf den Boden geschleudert wird und daraufhin in hysterisches Kreischen verfällt, dann wirkt dies weniger dramatisch als vielmehr peinlich. Was anfangs wie eine bewusste Parodie auf die Spielweise von Serienstars im Fernsehen wirkt, entpuppt sich spätestens bei der irritierten Reaktion der DarstellerInnen auf das Kichern aus dem Zuschauerraum als ernstgemeinter Teil der Inszenierung. Die völlige Distanzlosigkeit, mit der sich die SchauspielerInnen im Jargon der Soap Operas bewegen, belegt die Begrenztheit ihrer sprachlichen und darstellerischen Möglichkeiten.

Nichtsdestotrotz: Begeisterter Beifall bei den jugendlichen Zuschauern, die zum Teil offensichtlich mit den Akteuren befreundet waren. Die wenigen Erwachsenen im Publikum reagierten verhalten aber wohlwollend. Mona Clerico

Aufführungen heute 11 u. 20 Uhr