Konterfei mit Praliné

■  „FunktionsSystemMensch“ in Bochum zeigt österreichische Kunst, die sich mit den Auswüchsen der Psychologie beschäftigt

Es muß daran liegen, dass Freud Österreicher war. Auf seinem Sofa in der Wiener Berggasse Nummer 19 hat er sich am Ende des letzten Jahrhunderts all das ausgedacht, was den Körper und seine Geschäfte fortan von Geist und Bewusstsein trennen sollte. Seit je müht sich die Kunst, diese beiden Antipoden wieder zusammenzubringen – nicht nur die österreichische, aber vielleicht gerade sie. 14 österreichische Positionen, die das „Funktionssystem Mensch“ im weitesten Sinne fotografisch untersuchen, sind jetzt in Bochum zu sehen. Sie erschließen sich vor der Folie der landeseigenen Kunstgeschichte, die an der Schwelle dieses Jahrhunderts von den Wiener Sezessionisten maßgeblich mitgeschrieben wurde.

Der Jugendstil korrespondierte mit den psychologischen Strömungen und nahm zugleich die Verlustängste des Fin de Siècle auf: Gustav Klimt in seiner sinnlich-pantheistischen Variante, die in allem das Beseelte sah und Bilder des Ur-Weiblichen zwischen Verführung und Tod inszenierte, Egon Schiele in einer stark psychologisierenden, zuweilen selbstquälerischen Innenschau. In den sechziger Jahren tauchte Österreich erneut in der Kunstgeschichte auf: Während Künstler und Künstlerinnen im Wiener Aktionismus die Abkehr von der Leinwand vollzogen und das bildsprachlich-künstlerische Vokabular anhand des Materials „Körper“ zu erweitern suchten (Günter Brus, Otto Muehl), ermöglichte die Body-Art vor allem für Frauen ein neues Moment künstlerischer Selbstreflexion, das stark politisch motiviert war. So ging es Künstlerinnen wie der Urmutter des feministischen Aktionismus, Valie Export, um die Thematisierung des in der feministischen Debatte zum Politikum gewordenen Schauplatz des Körpers. Zum anderen war der Rekurs auf den eigenen Leib häufig eine recht persönliche Angelegenheit, wie etwa in den Spiegelperformances von Friederike Pezold. Heute herrscht auch hier die Fülle gleichwertiger Positionen, die gleichwohl vor dem kunsthistorischen Wissen vom spezifisch österreichischen Zugang zum Körper gelesen werden sollten, aber nicht müssen.

Im Falle der Künstler, die nur mehr indirekt etwas mit dem Land zu tun haben, würde dies sogar den Blick verstellen: So ist David Murray ein schottischer Künstler, der in Österreich arbeitet, und Marina Faust Österreicherin in Paris. Beide markieren auch die Spannbreite der künstlerischen Überlegungen: Während Murray die Insignien gesellschaftlich normierter Glücksversprechen im ironisierenden Puppenhausformat versammelt, arbeitet Marina Faust per Foto und Video entlang der eigenen Hautoberfläche als Membran zur Wirklichkeit.

Zwischen Reportage-Gestus und Abstraktion begegnet man dem Alltäglichen einerseits in den Schaufensterbildern von Johannes Schweiger. Oder der Körper wird als Skulptur vorgeführt, eingezwängt in bunte Strümpfe, wie bei Erwin Wurm. Das Rätsel des Menschlichen zwischen Psycho- und Popkultur, zwischen Natur und Kultur aber scheint dort auf, wo die Schnittstellen sichtbar gemacht werden. Elisabeth Wörndl gelingt dies durch die Überlagerung von Topografien: Sie webt computergestützt das 3-D-Bild des eigenen Körpers über das Straßengewirr moderner Großstädte.

Daneben scheinen Überlegungen zum eignen Leib zwischen Authentizität und Konstruktion, gerade was weibliche Positionen angeht, nichts von ihrer Aktualität eingebüßt zu haben. Wo Cindy Shermans Verkleidungslust Mitte der Neunzigerjahre aufhört, beginnt die Kunst von Irene Andessner. Ob ihr Konterfei ein süß-klebriges Praliné schmückt oder das Video „Cyberface“, unterlegt mit einem hypnotischen Minimal-Music-Loop, immer sind es mögliche Identitäten, in welchen die Künstlerin sich auflöst. Elke Krystufek dagegen verbindet das Persönliche und das Allgemeine mit folkloristischen Inszenierungen im eigenen Wohnzimmer. Eine Klasse für sich ist in diesem spannungsreichen Kaleidoskop menschlicher Befindlichkeiten im Privaten wie im Öffentlichen die Arbeit Octavian Trauttmannsdorffs. Er zeigt ein Video von dem Geschehen auf einem Krankenhausflur, das von einer auf einer Stuhlreihe für Besucher befestigten Kamera in Echtzeit aufgenommen wurde. Ohne Eingriff, ohne Filter, ohne Addition künstlerischen Mehrwertes stellt sich hier das „System“ Krankenhaus aus, in dem über Leben und Tod entscheiden wird, das Stätte von Demiurgen wie Pfuschern, Mutigen wie Feigen, kleinen wie großen Menschen ist. Das Funktionssystem Mensch stellt sich anhand seiner Schauplätze vor. Magdalena Kröner
‚/B‘„FunktionsSystemMensch“, bis 7. 11., Museum Bochum.