Der Blindgänger

■  Missglückter Imagewechselversuch: „Der Alphamann: Amok“ (20.15 Uhr, ARD)

Eigentlich hat er Vaterland, Kinder und Frauen schon so oft gerettet, dass es ihnen langsam besser gehen müsste. Hannes Jaenicke hat es mit Naturkatastrophen, Psychopathen und Hysterikerinnen aufgenommen, hat das Land gegen Putschisten verteidigt und Terroranschläge gegen führende Politiker vereitelt. Manchmal war er auch böse. Doch Gemeinheiten haben wir ihm nie so richtig abgenommen. Auch wenn er immer schwarze Sachen anhat und die Mundwinkel nach unten ziehen kann. Dabei sieht er bestenfalls so furchterregend aus wie ein Zehnjähriger, dem ein Elfjähriger gerade sein Mountainbike umgestoßen hat. Außerdem spricht er so, als müsste er mit der Zunge gleichzeitig eine lockere Plombe in ihren Zahn zurückdrücken.

Das klingt nicht gerade nach Hölle, Verderben oder überlaufendem Testosteron. Doch für die Branche und den Hausgebrauch genügte Jaenicke lange Zeit als deutscher TV-Serien-Bruce-Willis, auch wenn er außer durchgeschwitzten Unterhemden auf zuckender Brustmuskulatur und einer hohen Stirn nicht viel Gemeinsamkeiten zu bieten hat. Und eines hat der völlig ironie- und charmefreie Jaenicke schon mal gar nicht: Witz. Daran ändert auch der Imagewechsel nichts, bei dem ihm jetzt die ARD mit dem Mehrteiler „Alphamann“ (Regie: Thomas Jauch) behilflich sein will. Die Wandlung vom harten Kerl aus der Krawallabteilung der Privaten zum nachdenklichen Mülltrenner aus der Kuschelecke der Öffentlich-Rechtlichen bleibt recht bescheidener Karneval, in dem Blindheit schon als Pappnasenkostüm ausreicht.

Als blinder Polizeipsychologe Tom Leschek muss sich Jaenicke nun darauf verlegen, seltsam und immer genau dahin zu gucken, wo gerade aber auch gar nichts passiert. Und: Das Schwätzen wird sein neues Geschäft.

Gleich zu Beginn textet Leschek die Psychologin Jessica van der Laan (Renée Soutendijk) zu wie ein Heizdeckenvertreter. Seine drei Gründe, warum sie ihn und nicht eine Frau einstellen soll, klingen nach Altherrengewieher: „Weil ich Ihr Parfüm mag; weil ich der einzige Mann bin, der zuhören kann; und weil ich meinem Hund etwas zu fressen kaufen muss.“ Das Drehbuch kennt keinerlei Scham vor ranzigen Psychologenwitzen, was den Zuschauer alsbald dazu treibt, die alttestamentarische Strafe des Zungeabschneidens als durchaus gerechte Tat respektive Notwehr zu erachten.

Natürlich kommt Jaenicke auch ohne fremde Hilfe und seinen Blindenhund zurecht. Als er im Supermarkt in ein Kidnapping verwickelt wird, schickt er Frau van der Laan mit Hund Einstein vor die Tür: Dort ist die liebe Frau zwar aus der Gefahrenzone, doch trotz Sehkraft und Hund lange nicht in der Lage, den Einsatzleiter ausfindig zu machen. Dass sie sich und Leschek trotzdem als „Alphamann“, das heißt als Polizeipsychologe im Einsatz empfiehlt – „Nehmen Sie mich und Leschek, zwei Halbe gibt schließlich ein Ganzes“ –, legt den Schluss nahe, dass eine Frau plus ein Blindfisch Anrecht auf den Schwerstbehindertensitz in öffentlich-rechtlichen Verkehrsmitteln haben.

Flankiert wird das Gehampel von dümmlich inszenierten Polizeieinsätzen, bei denen irgendwelche uniformierte Hirntote auf den außer sich geratenen Vater Martin Buchmüller (Tobias Moretti) ballern, obwohl der seine kleine Tochter vor sich hält. In Lescheks messerscharfer Kidnapper-Analyse erfahren wir dann Unglaubliches: „Er ist ein Ja-Sager. Pedantisch. Er frisst alles in sich hinein“; und: „Der ist total verletzt“, „innerlich total blockiert“; oder so anbiedernde Warmduschen wie: „Martin, ich glaube, ich weiß, warum du das tust.“

Während im Supermarkt eigentlich die Spannung kochen sollte, sich tatsächlich aber nur das gegenseitige Verständnis warmläuft, klären draußen Einsatzleiter und Staatsanwältin ihre Standes- und Religionszugehörigkeiten. Schließlich soll „Alphamann“ nicht nur den Wahn des Sorgerechts und den verwahrloster Väter, sondern auch gesamtgesellschaftliche Konflikte ansprechen. Und eben auch mal total innerlich verletzen. Birgit Glombitza