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Indiens Hindu-Partei erhält zweite Chance

Bei den Parlamentswahlen legt die Regierungsallianz zu. Dabei stagniert die BJP, während ihre gemäßigten Partner Stimmen einfahren. Die Kongresspartei hat das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte  ■   Aus Delhi Bernard Imhasly

Die regierende Nationale Demokratische Allianz (NDA) unter Führung der rechtsnationalen Hindu-Partei BJP hat die indische Parlamentswahl für sich entschieden. Die NDA gewann nach Auszählung von 500 der insgesamt 537 Sitze (bei 6 Sitzen kommt es zu Nachwahlen) 278 Mandate. Dagegen ist es der Kongresspartei unter Sonia Gandhi nicht gelungen, die Allianz auch nur zu gefährden. Mit vorläufig 126 Sitzgewinnen wurde sie abgeschlagen.

Trendmeldungen sagten gestern voraus, dass die BJP und ihre Partner rund 300 Sitze gewinnen werden, mehr, als sie für die absolute Mehrheit von 272 benötigen. Hinter den Zahlen verbergen sich allerdings für jede Partei Gewinne und Verluste. BJP und Kongress konnten in Bundesstaaten Gewinne verbuchen, in denen sie nicht die Lokalregierung stellen, verloren aber dort, wo sie an der Macht sind.

Im abtretenden Parlament hatte die 24-Parteien-Koalition der BJP nur eine Mehrheit von einem Sitz gehabt. Der deutliche Zugewinn sollte es Premierminister A. B. Vajpayee nun leichter machen, seine Regierungszeit über die achtzehn Monate hinaus auszudehnen, die ihm vergönnt waren, bevor ihn ein regionaler Partner im April zum Rücktritt zwang.

Dennoch enthält der Sieg für Vajpayee eine bittere Pille. Das Mehr an Sitzen geht nämlich nicht an seine Partei, sondern an regionale Partner, deren Einfluss auf die Regierungspolitik damit zunimmt. Die BJP hat sogar – genauso wie der Kongress – Mandate eingebüßt. Der Trend zur Fragmentierung der indischen Parteienlandschaft setzt sich also fort.

Dennoch gibt es Zeichen, die hoffen lassen, dass die zweite Auflage der Regierung Vajpayee stabiler als die Erstausgabe sein wird. Die gewichtigsten neuen Partner – Regionalparteien aus Orissa, Andhra Pradesh und Tamil Nadu – sind nicht nur kulturpolitisch gemäßigt, sie stehen auch eindeutig auf der Seite der Reformer. Sie stärken damit den liberalen Flügel in der BJP gegenüber den auslandfeindlichen Nationalisten. Dies weckt die Hoffnung, dass die Regierung die überfälligen Reformen anpacken kann. Zudem zeigt ein Blick auf Sieger und Verlierer, dass jene Parteien verloren haben, denen im Wahlkampf Misswirtschaft vorgeworfen wurde.

Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Sieg der Regionalpartei Telugu Desam im südindischen Andhra Pradesh. In Abkehr von der Praxis indischer Politiker hatte ihr Führer Chandrababu Naidu im Wahlkampf Schweiß und Tränen statt Subventionen versprochen. Dennoch folgte ihm das Wahlvolk und nahm die verkündete Preiserhöhung für rationierten Reis und Strom in Kauf.

Im scharfen Kontrast dazu steht der Pandschab, wo ein weiterer NDA-Partner, die Akali Dal, eine massive Niederlage erlitt, obwohl sie den Bauern eine Schuldentilgung und Gratisstrom- und Wasserversorgung versprochen hatte. Der Unterschied: Naidu konnte den Strom tatsächlich liefern, während im Pandschab eine Finanzkrise die staatlichen Dienstleistungen lahmlegte.

Dass der Wähler eher auf die Leistungen der Politiker statt auf die Parteisymbole und -ideologien achtete, zeigt auch das Abschneiden der Kongresspartei. In den Staaten Rajasthan und Delhi, wo Sonia Gandhi vor neun Monaten hohe Siege in den Regionalwahlen errungen hatte, erlitt die Partei diesmal eklatante Niederlagen; in der Hauptstadt Delhi gewann sie keinen der sieben Parlamentssitze. Dagegen konnte sie im wichtigen Staat Uttar Pradesh Sitzgewinne verbuchen, weil die dort regierende BJP ineffizient und zerstritten war. Dies genügte allerdings bei weitem nicht zu einem Sieg. Falls sich die Hochrechnungen bestätigen, wird der Kongress im Gegenteil das schlechtestes Resultat seiner Geschichte erzielen. Der „Sonia-Faktor“ und damit der Appell an dynastische Sympathien der Wähler hat versagt.

Gandhi, die erstmals als Parlamentskandidatin auftrat, gewann allerdings in beiden Wahlkreisen, in denen sie kandidierte, deutlich. Damit hat der Wähler auch die hysterischen Ausfälle gegen „die Italienerin“ mit Verachtung bestraft. Doch Gandhis Unerfahrenheit und mangelnde Kommunikationsfähigkeit kamen nicht an gegen das Image des erfahrenen Politikers auf, das Vajpayee von sich projizieren konnte. Aber der Wähler war auch bei ihm nicht nachsichtig und versagte dem „Sieger von Kaschmir“ den Lorbeer – Vajpayee errang im Wahlkreis Lucknow seinen vierten Wahlsieg, aber mit der bisher tiefsten Marge.

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