Portugals Sozialisten fürchten nur noch sich selbst

■ Noch nie ging es den Portugiesen so gut wie heute. Das werden sie ihrer sozialistischen Regierung bei den Wahlen am Sonntag danken – vermutlich mit einer absoluten Mehrheit

Madrid (taz) – Noch nie in der Geschichte der jungen portugiesischen Demokratie hat eine Partei so viel Macht auf sich vereint wie die sozialistische PS. Ob in den Gemeinderäten, im Parlament oder im Präsidentenpalast Belem, überall gibt die Partei von Antonio Guterres den Ton an. Dennoch möchte Guterres, der seit vier Jahren die Regierung führt, am Sonntag, wenn 8,7 Millionen Portugiesen an die Wahlurnen gerufen sind, noch zulegen. „Die absolute Mehrheit im Parlament, um unser Projekt umzusetzen“, fordert der 50-Jährige unter dem Beifall seiner Anhänger im Wahlkampf.

Der hemdsärmelige, kollegial auftretende Guterres ist beliebt. Noch nie ging es den Portugiesen so gut wie in den vergangenen vier Jahren. Die Arbeitslosigkeit sank in seiner Amtszeit von 6,8 auf 4,7 Prozent. Portugal hat den Anschluss an die europäischen Währungsunion geschafft. Die Bevölkerung befindet sich im kollektiven Konsumrausch. Optimistisch schauen die Portugiesen in die Zukunft. Verträge mit Ratenzahlungen, die noch vor wenigen Jahren den meisten Familien Kopfzerbrechen bereiteten, werden heute, bei einem Zinsniveau von mehr als vier Prozent, abgeschlossen, ohne zweimal zu überlegen.

Portugal erlebt einen Modernisierungsschub. Dank der Weltausstellung 1998 wurde vor allem die Infrastruktur im Großraum Lissabon ausgebaut. Die Verdoppelung des U-Bahn-Netzes und die Brücke Vasco da Gama, mit 17 Kilometer die längste Europas, sind die Vorzeigeprojekte. Vor wenigen Wochen wurde ein weiteres Jahrhundertwerk eingeweiht, die Autobahn Lissabon – Madrid. Portugal ist damit endlich an das europäische Schnellstraßennetz angeschlossen.

Liebe geht auch für die Portugiesen durch den Magen oder durch das Portemonnaie. Alle Umfragen zeigen, dass Guterres, der seit vier Jahren einer Minderheitsregierung vorsteht, die dank der Zerstrittenheit der Opposition immer wieder ihre Projekte durchs Parlament bekommt, könnte jetzt leicht die 45-Prozent-Marke überschreiten – bei der Sitzverteilung in der portugiesischen Volksvertretung wäre dies die absolute Mehrheit.

Der gute wirtschaftliche Lage lässt die Wähler großzügig über die Fehler der Sozialisten hinwegsehen. Die Korruptionsskandale – der Finanzdirektor der Weltausstellung unterschlug umgerechnet zehn Millionen Mark, der Verteidigungsminister hinterzog Steuern – sind ebenso vergessen wie die mangelnde Umsetzung der sozialpolitischen Versprechungen. Nur ins Bildungswesen steckte Guterres mehr Geld. Das Gesundheitssystem und die Absicherung sozial Schwacher rührte er kaum an. Beim Versprechen, mehr Basisdemokratie walten zu lassen, scheiterten die Sozialisten am Wahlvolk. Sowohl das Referendum zur Legalisierung der Abtreibung wie auch das zur Regionalisierung des zentral gelenkten Landes waren mangels Beteiligung ungültig.

Außenpolitisch liegt Guterres dieser Tage im Aufwind. Sein diplomatischer Erfolg, über Tony Blair die USA von einem Eingreifen in Osttimor zu überzeugen, macht die unbeliebte Unterstützung der Nato-Interventionspolitik im Kosovo vergessen. Die sozialistische Regierung empfing in der vergangenen Woche den Rebellenführer aus der ehemaligen portugiesischen Kolonie Osttimor, Xanana Gusmao, wie einen Staatsgast. Zehntausende jubelten ihm und Guterres zu.

Den portugiesischen Nationalismus weiß Guterres ebenfalls zu bedienen. So stimmte er in den vergangenen Monaten in das Konzert derer ein, die vor einem Aufkauf Portugals durch den großen Nachbarn Spanien warnen. Als die spanische Banco Santander Central Hispano (BSCH) versuchte, 40 Prozent des Bankimperiums des portugiesischen Magnaten Antonio Champalimaud aufzukaufen, funkte Guterres dazwischen. „Illegale Monopolbildung“ sei dies. Die EU wies den portugiesischen Regierungschef zurecht. Auch bei der Privatisierung der Staatsbetriebe versucht Guterres, die Spanier außen vor zu halten. Stattdessen wirbt er um französische Investoren.

Die Opposition ist zu zerstritten, um gegen die Sozialisten anzukommen. „Die absolute Mehrheit führt zu Machtmissbrauch“, warnt der Kandidat der konservativen Sozialdemokratischen Partei Portugals (PSD) Durao Barroso immer wieder. Vergebens. Seine Partei, die 1995 nach zehn Jahren an der Macht auf die Oppositionsbank musste, sinkt weiter in der Wählergunst. Knapp 30 Prozent sagen ihr die Umfragen voraus, 4 Punkte weniger als bei den vorigen Wahlen.

Die Volkspartei (PP), rechts der PSD angesiedelt, werden unverändert 8 Prozent vorhergesagt. Und die CDU, das Bündnis aus Kommunisten – den orthodoxesten Europas – und den Grünen, wird ebenfalls ein Viertel ihrer Stimmen verlieren und auf 5 bis 6 Prozent absacken. Die einzige Neuerung im portugiesischen Politikspektrum ist der Linksblock (BE). Das vor wenigen Wochen von Linksintellektuellen gegründete Bündnis wird aller Voraussicht nach mit 2 Prozent der Stimmen erstmals ins Parlament einziehen.

Guterres hat nur einen Gegner auf dem Weg zur absoluten Mehrheit im Parlament. Die Wahlenthaltung. „Das Gefährlichste für uns ist, dass viele Leute denken könnten, die Wahlen sind sowieso gewonnen. Wenn alle, die so denken, zu Hause bleiben, werden wir Stimmen verlieren“, warnt Guterres. Reiner Wandler