■  Jan Stage ist ein Reisender in Sachen Krieg. Nicht die Schönheiten exotischer Natur wecken seine Neugierde, sondern die Frage, was Menschen bewegt, zur Waffe zu greifen

taz: Die Intellektuellen Westeuropas haben sich viel über die Kriege auf dem Balkan ausgelassen, ohne tatsächlich viel davon gesehen zu haben. Glauben Sie, jeder Westeuropäer sollte auf einen Kriegsschauplatz geschickt werden als Teil seiner Erziehung?

Jan Stage: Theoretisch wäre es nicht schlecht, aber praktisch ist es undurchführbar. Krieg ist eine Szene für Kriegsreporter und nicht für Intellektuelle. Sie hätten dort nichts tun können.

Haben Sie je überlegt, selbst zur Waffe zu greifen?

In Sarajevo war ich zum Teil bei den serbischen Stellungen außerhalb der Stadt und hörte ihren Argumenten zu, dann war ich bei den Moslems und änderte meine Meinung. Ich war nie ganz sicher. Jetzt, seit ich im Kosovo war, bin ich sicher. Ich weiß, ich hasse die Serben. Denen hat nie jemand die Würde genommen. Aber zur Waffe greifen? Nein.

Eine andere Möglichkeit, für seine Überzeugung einzutreten, ist Spionage. Sie haben ja selbst für Kuba Informationsdienste verrichtet.

Das war in den Sechzigern. Wer hätte das nicht gemacht in den Sechzigern? Es war so klar, wer die Guten sind und wer die Bösen. Die Zeiten, wo man sich klar auf eine Seite schlagen konnte, sind vorbei. Heute ist das ganz anders. In Sarajevo hat ein britischer Kollege ein kleines Mädchen aus einem Waisenhaus adoptiert. Wir haben alle nicht kapiert, warum er das macht. Wir dachten, wir sind Zeugen der Weltgeschichte und dann konzentriert er sich auf ein kleines Kind. Aber letztlich war es das einzig Richtige. Ich bin oft gebeten worden, die Vorgänge in Bosnien nicht nur zu beschreiben, sondern hinter den Vorhang zu schauen. Aber ich muss sagen, vielleicht ist da einfach nichts. Grundlegende menschliche Schwäche und Gemeinheit wird oft gesagt; jedenfalls keinerlei Ideologie, es geht nur ums Töten.

Wenn alles so sinnlos ist, warum überhaupt über solche Kriege schreiben?

Vielleicht, weil wir es immer gemacht haben. Ich glaube, wir versuchen, gegen die schlechten Seiten der menschlichen Natur anzuschreiben. Und, nebenbei gesagt, es ist nicht unsere Aufgabe, die Welt zu retten. Früher dachte ich, ich könnte die Welt ändern, heute nicht mehr.

Ihre Reportage über Mexiko und die Zapatistas klingt sehr literarisch. Gibt es eine Verbindung zwischen persönlicher Anteilnahme und Reportage?

Das wäre möglich. Aber, um die Wahrheit zu sagen: Ich hatte damals sehr viel zum Lesen dabei, hauptsächlich Octavio Paz. Ich dachte, das ist wunderschön und habe versucht, auch so zu schreiben. Andererseits – ehrlich gesagt, es ist nicht viel los in Mexiko. Die Zapatistas sind keine aktiven Revolutionäre. Manchmal dachte ich, das sind entweder französische Philosophen oder Leute von „Medicines sans frontières“. Nicht dass ich mit der mexikanischen Armee sympathisiere, aber verstehen konnte ich die Offiziere schon, denen das nicht gefiel.

Der bekannte britische Kriegsreporter Martin Bell hat gesagt, eine gewisse Nähe zur Armee hilft für die Arbeit. Sehen Sie das auch so?

Martin Bell ist – auch wenn er nicht so aussieht – wirklich eine britische Bulldogge. Ich glaube, wenn man sich in einer Kriegssituation befindet, sollte man sich nicht auf die kriegsführenden Parteien konzentrieren, sondern auf die Zivilisten. Außerdem erzählen Soldaten selten die Wahrheit.

Das klingt nach einer Haltung, wie sie oft weiblichen Kriegsreportern zugeschrieben wird. Viel menschliches Leid, aber wenig Analyse.

Ich kann mich eigentlich an gar keine weiblichen Reporter erinnern. Ich denke, Frauen können Krieg in derselben Weise beschreiben wie Männer, aber ich weiß nicht, ob sie das wollen. Ich habe einmal meine Frau mitgenommen nach Bosnien. Sie hat einen „shell shock“ erlitten. Seitdem ist sie nie wieder da gewesen. Der Krieg als Szenerie ist eine Männerlandschaft.

Haben denn in Bosnien nicht auch Frauen zur Waffe gegriffen?

Die Männer haben das Töten besorgt. Wir haben mehrmals versucht, auf bosnischer Seite die berühmte weibliche Brigade 509 zu finden. Wir fanden nur einige männliche Offiziere. Die haben uns gesagt, die Frauen hätten gerade Ausgang und würden später zurückkommen. Als die UÇK im Kosovo siegreich aufmarschierte, waren drei, vier wunderschöne Frauen dabei – zur Show. Es gab keine hässlichen unter ihnen ohne Zähne. Die Frauen waren nur dabei, um die Aufmerksamkeit der Kameraleute zu erregen.

Frauen spielen in Ihren Reportagen keine Rolle, außer einmal in Russland, wo Sie eine Frau in einem Bus sehen. Sie schreiben: Wenn sie mich wollte, ich würde sofort mitkommen.

Das war eine Ausnahme. Ich war an dem Tag in der Stimmung. In meinem Alter hat man nicht mehr den Drang, jeden Abend zu sagen, komm schon, irgendeine wird sich finden. Aus zwei Gründen: Erstens, weil man zu müde ist, zweitens, weil keine netten Frauen da sind. Die TV-Crews haben Frauen dabei, aber unter den schreibenden Journalisten während der fünf Jahre in Bosnien kann ich mich an keine Frau erinnern – und ich weiß nicht, warum.

Warum beschreiben Sie fast nie Gefechtsszenen?

Das ist eigentlich Zufall. Im Allgemeinen sind wir als Zeugen fast immer gerade vor oder gerade nach dem Kampf vor Ort. In Bosnien konnte man tagelang warten, ohne dass etwas passierte. Es gab fast keine echte Kampfsituationen. Heckenschützen, Minen, Bombardements, aber keine Gefechte Mann gegen Mann. Außerdem versuche ich, Klischees zu meiden. Bei solchen Situationen verspürst du einen Drang, Worte zu verwenden wie „Es war eine blutige Szene.“ Solche Sätze kommen der Wahrheit nicht nahe. Die Anspannung direkt davor oder danach zu beschreiben kann viel bewegender sein.

Wollen Sie den Rest Ihres Lebens als Kriegsreporter verbringen?

Nein, ich bin zu müde. Wir haben uns ein schönes Haus in Frankreich gekauft. Ich bin zum sechsten Mal verheiratet, meine Frau hat zwei Kinder, ich habe drei Söhne. Sie sehen mich als alten Mann. Warum sollte ich nicht auf sie hören und Schluss machen?

Was machen Sie dann?

Ich will einen Roman schreiben, über einen Diktator auf dem Balkan.

Das heißt, sie wechseln nicht den Inhalt sondern nur die Form. Das Thema bleibt dasselbe.

Das Böse, das Menschen tun können, das ist das Thema.

Haben Sie eine sehr schlechte Meinung von den Menschen?

Nein. Was mich am Krieg angezogen hat, ist: Im Krieg hat man mehr Freunde, man hat andere Prioritäten und lebt sein Leben intensiver. Wenn man an zwischenmenschliche Verbindungen denkt, dann gibt es wichtigere Dinge zu tun, als vor dem Fernseher zu sitzen.

Interview: Martin Hager

Das Gespräch fand statt anlässlich einer literarischen Soiree des „Weltenbürger e.V.“. Der Verein wird von der Volkswagen AG und der Kulturzeitschrift „Lettre International“ getragen. Er lädt regelmäßig Menschen ein, die ihr Leben zwischen den Kulturen leben.

Die Reportagen von Jan Stage zu den Konflikten im Kosovo und in Dagestan sind nachzulesen in der aktuellen Ausgabe von „Lettre International“, Heft Nr. 46, Herbst 1999, 17 DM