Ein neues Forum zum Sammeln

Zum zehnten Jahrestag der Montagsdemonstrationen bekämpfen sich in der Heldenstadt zwei Museen. Wer ist für die Geschichte zuständig – der Bund oder die Bürgerrechtler vor Ort?  ■    Aus Leipzig von Georg Löwisch

In Leipzig haben am Sonnabend zwei Museen ihren großen Tag gehabt. Das eine Museum, die „Runde Ecke“ im alten Leipziger Stasi-Gebäude, weihte eine Gedenktafel ein. Und das zweite, das „Zeitgeschichtliche Forum“ im renovierten Zentralmessepalast, wurde überhaupt erst eröffnet. Weil beide Museen von der Unterdrückung in der DDR erzählen, haben die jeweiligen Verantwortlichen ihre Feiern auf den Jahrestag des 9. Oktober 1989 gelegt, an dem 70.000 Leipziger gegen das SED-Regime protestierten. Auf beiden Feiern sprach ein hoher Staatsmann: vor der Runden Ecke der Bundestagspräsident, im Messepalast der Bundeskanzler. Damit wären die Gemeinsamkeiten auch schon aufgezählt.

Die Geschichte der Gegensätze dauert länger. Sie hat mit Menschen zu tun, die an ihre Geschichte lieber im Kleinen erinnern wollen und anderen, die im großen bundesdeutschen Ausstellungszirkus mitspielen. Zu den letzten gehört Rainer Eckert. Er ist Leiter des neuen Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig. Als erstes sagt er, dass er aus der DDR kommt. „Weil alle denken, hier arbeitet einer aus Bonn.“ Dabei habe ihn die Stasi jahrelang überwacht. Als Eckert 1997 mit dem Aufbau des Forums begann, dachten trotzdem viele: Der ist aus dem Westen. Wohlweil sich niemand von den anderen ehemals Überwachten vorstellen kann, dass man einem von ihnen 30 Millionen Mark für eine Ausstellung in die Hand drücken würde, ohne der Geschichte einen bundesdeutschen Stempel aufzudrücken. Eckerts Forum gehört zur Bonner Stiftung Haus der Geschichte, und die ist wiederum dem Kanzleramt zugeordnet.

„Ich versuche hier ja auch, Leute unterzubringen“

In Eckerts Büro im Messepalast hängen Karikaturen, daneben ein DDR-Autokennzeichen, ein gerahmtes Poster vom Neuen Forum, und auf dem Regal steht die alte Schreibmaschine seiner Mutter. Eckert ist ein Sammler. Und so hat er auch fast drei Jahre für das Leipziger Museum gesammelt. Büsten von Thälmann und Lenin, die Gitarre von Wolf Biermann, den Parka von Markus Meckel, einen Brocken von der Mauer natürlich. 2.500 Ausstellungsstücke. Den Mitinitiator der Montagsdemos Uwe Schwabe hat Eckert zum „Sammlungssachberarbeiter“ gemacht: „Ich versuche hier ja auch, Leute unterzubringen.“

Die Leute von der Runden Ecke wollten nicht mitsammeln. Sie wollten auch nicht gesammelt werden. Gleich 1997 ging Eckert zu ihnen, um über Leihgaben zu sprechen. „Sie sagten, die Bonner Walze taucht auf und walzt alle Archive nieder.“

Vor der ehemaligen Leipziger Stasi-Zentrale stehen an diesem Nachmittag viele, die irgendwie mit der Bürgerbewegung zu tun haben. Vor dem mächtigen Eingangsportal stehen sie mit dem Vorsitzenden des Bürgerkomitees zur Auflösung der Staatssicherheit, Konrad Taut, und der Museumsbetreuerin Irmtraut Hollitzer. Hollitzer schaut aufgeregt hierhin und dorthin. Fast jeden Tag ist sie die vergangenen Jahre in den engen Räumen der Ausstellung gewesen. Hat Rentner und Schüler an MfS-Akten vorbeigeführt, ihnen Minikameras und Abhörgeräte gezeigt, aber auch so einfache Sachen wie das „Mensch, ärgere dich nicht“-Spiel aus der Schreibstube. Über die Akten und Fotos haben die Bürgerrechtler auf graue Pappe mit Filzstift Überschriften gemalt. Viel haben sie einfach belassen wie den Linoleumboden der Amtsflure. Und jetzt ist Thierse da, der Bundestagspräsident. Ein richtiger Staatsakt wird es dennoch nicht vor dem Portal. Hinten im Publikum ruft Pfarrer Friedrich Schorlemmer: „Wolfgang lebe hoch!“ Es regnet in Strömen.

Plötzlich taucht ein Mann mit Flugblättern auf

Da versteht sich die Bundesstiftung besser auf Festakte. Ein ganzes Stockwerk voller Politprominenz wartet im Messepalast auf den Bundeskanzler. Hermann Schäfer, Direktor der Stiftung, kündigt die „Bu-Jazzo“-Band und das Bundesjugendorchester an. Dann spricht der Kanzler vor schwarz-rot-goldenem Hintergrund. Doch während Schröder die Geschichte vom „Wind of Scheinsch“ rekapituliert, taucht ein Mann mit einem Stapel Flugblätter auf. Konrad Taut vom Bürgerkomitee. „Haus der Geschichte macht Front gegen Leipziger Initiativen“, steht auf seiner Erklärung. Taut klagt, dass es hier nun auch eine Stasi-Abteilung gibt. Dabei hätte die neue Ausstellung sich doch mit der Volkspolizei gründlicher beschäftigen können. Und da ist die Sache mit der Museumsstraßenbahn, die das Bürgerkomitee mit den Verkehrsbetrieben entwickelt habe. Die hätten die „Bonner“ geklaut und sich obendrein geweigert, zu zweit eine Bahn in die Spur zu schicken. Taut sagt: „Das ist eine Konkurrenzsituation, wie wenn ein Baumarkt auf der grünen Wiese aufmacht.“

Vielleicht muss man sich das Forum eher als Warenhaus vorstellen, das durchaus Qualität bietet, dabei immer bemüht, die ganze Palette abzudecken. Die Runde Ecke ist wie ein ortsansässiger Kaufladen. Es gibt nicht alles, dafür haben die Lebensmittel diesen unverwechselbaren Geschmack. Und weil er so klein und unabhängig ist, kann man sich nie ganz sicher sein, ob er überleben wird.

Nach dem Empfang sagt Markus Meckel, das Zeitgeschichtliche Forum brauche mehr Eigenständigkeit. „So ist es eine totale Außenstelle von Bonn.“ Der letzte Außenminister der DDR hat wie viele registriert, dass der Stiftungsdirktor Schäfer in seiner Rede den Leipziger Verantwortlichen Eckert nicht mit einem Wort erwähnt hat. Dabei hat Schäfer sogar dem Dirigenten der „Bu-Jazzo“-Band gedankt. Der Bonner Direktor hat im übrigen auch noch etwas anderes gelobt: die umstrittene Museumsstraßenbahn. Er hat gesagt: „So wird man gerne heimisch.“