Die Universität ist kritisch – oder gar nicht

■ Der Kongress disputierte: Die Gruppenuniversität kann basisdemokratisch sein oder diktatorisch ... Bis Hans Meyer sagte, was sie auf jeden Fall sein muss: unabhängig, kritisch

Düsseldorf (taz) – Über Wohl und Weh der Universität entschieden allein die Professoren. Als beinahe allmächtige Lehrstuhlinhaber oder Ordinarien. Gegen diese Ordinarienuniversität revoltierten Anfang der 60er-Jahre die Studierenden – halb erfolgreich. Es entstanden zwar demokratischere, so genannte Gruppenuniversitäten, die aber nahm der Staat umso strenger an die Kandare. Nun regierten Ministerialbeamte in die Unis hinein. So ist es bis heute.

Dreißig Jahre nach der halben studentischen Umwälzung gerät dieses System ins Wanken. Die Universitäten selbst sollen wieder mehr Verantwortung tragen. So sehen es neue Hochschulgesetze in Bayern, Nordrhein-Westfalen und andernorts vor. Damit ist die Gretchenfrage wieder aufgeworfen, wer in der Uni das Sagen hat: Wer besetzt die neue Medienrechtsprofessur? Wer legt die Anzahl der Leichen für die Anatomie fest? In Bonn diskutierten Vertreter acht ausgewählter Reformunis ihre Modelle der Selbststeuerung. Das Ergebnis der von Volkswagenstiftung und Stifterverband angestoßenen Bilanz der Reformuniversitäten gleicht ganz dem akademischen Anything goes: Alles ist möglich.

Dezentralisierung etwa heißt das Reformprogramm der Massenuni Hamburg. „Zahlreiche Entscheidungen werden hier direkt vom Fachbereich getroffen“, erläuterte Jürgen Lüthje, Präsident der Hamburger Hochschule. Ein Modell, das die bürokratischen Umwege der Gruppenuniversität auf ein Minimum verkürzt. Während dort eine Änderungsinitiative von einer Vielzahl von Gremien über Monate durchgekaut – und vielleicht wieder zurück genommen wird, erprobt die Uni Hamburg etwas anderes: das einstufiges Abstimmungsverfahren. Das bedeutet, dass im Prinzip die Fachbereiche entscheiden – damit entsteht eine Art Demokratie der kleinsten Einheit. Hochschulleitung und Dekanat müssen sich nämlich mit einem Einspruchsrecht begnügen. Nur in weit reichenden Fragen, etwa wenn ein neuer Studienschwerpunkt gesetzt wird, dürfen sie ihr Veto einlegen. Es „entfallen enorme Zeitspannen und informelle politische Absprachen“, lobte Lüthje seine Variante der Gruppenuniversität.

Mit der Gruppenuni ganz aufräumen will dagegen eine andere Fraktion der Bonner Tagung. Sie will alle Macht in einer Hand konzentrieren. In den Gremien nämlich, so wetterte der ehemalige Präsident Technischen Hochschule Zürich, Heinrich Ursprung, kommen nur „Interessenvertreter von Besitzständen zu einem Nullsummenspiel zusammen“. Die Professoren sind dabei der größte Hinderungsgrund von Reformen: Weil sie sich nicht mit neuem Wissen auseinandersetzen, weil sie weder Geld noch Räume, noch Stellen für innovative Studiengänge abgeben wollen. Der Schweizer, zuletzt in der baden-württembergischen Hochschulstrukturkommission aktiv, plädierte deshalb – für den einen starken Mann an der Spitze der Uni.

Während die Professores ex kathedra ihre Modelle erläuterten, tummelte sich im Foyer des Wissenschaftszentrums eine Gruppe Studierender der Universität Greifswald. Wofür sich kaum noch ein westdeutscher Asta einsetzen mag, das soll im Osten Realität werden. „Wir wollen eine modifizierte Drittelparität einführen“, erklärt die 20jährige Christiane Wilke. Bei manchen Entscheidungen, etwa Forschungsvorhaben, will sie den Profs doppeltes Stimmrecht geben, ansonsten bestimmen die Studierenden mit, gleichberechtigt, wie es sich für eine echte Gruppenuniversität gehört. Das sei verfassungskonform, stellt die Jurastudentin mit Nachdruck fest.

Wilke ist optimistisch, dass das von sechs Studierenden entwickelte Projekt in ihrer Uni Anklang findet. Denn der Osten habe eine andere Tradition: „Während der Wende haben die Studis stabilisierend gewirkt – die Ossis haben Vertrauen in die Drittelparität.“ Die gab es – ehe das bundesdeutsche Hochschulgesetz kam.

Als die Reformatoren ihre Pläne verkündet hatten, trat Hans Meyer, Präsident der Berliner Humboldt-Uni, ans Mikro und stellte den Kongress vom Kopf auf die Füße: „Wir brauchen die Autonomie wegen der Eigenart der Wissenschaften.“ Meyer wischte die Reformen und Reförmchen seiner Kollegen, sofern sie die Zusammenarbeit mit dem Staat wollten, mit Eloquenz hinweg – zugunsten der gesellschaftskritischen Funktion der Universitäten. Die sei nur möglich, wenn der Staat sich weiter zurückzieht. Trotz aller Autonomieversprechen bestimmt der nämlich weiterhin die Ziele der Hochschulen. Meyer stellte ein anderes Modell dagegen: „Die Unis müssen dem öffentlichen Rundfunk gleichgestellt sein.“ Der bekäme auch Geld vom Fiskus – ohne dass der Staat sich die inhaltliche, die Fachaufsicht anmaße. Die Hochschulen gehörten zum öffentlichen Bereich, argumentierte Meyer, aber das Öffentliche sei ja schliesslich nicht identisch mit dem Staatlichen. „Die fatale Lust des Staates, in die Unis hineinzuregieren, ist noch nicht mal dreißig Jahre alt“, betont der Jurist. Die alte Ordinarienuniversität habe „Körperschaftscharakter“ gehabt und sei in ihren akademischen Entscheidungen autonom gewesen. Isabelle Siemes