Schleuder – würgs!

■ Am Freitag wird der 964. Freimarkt eröffnet / Neue Überschlagkarussells und Virtual Reality-Shows locken 17 Tage lang Millionen Menschen auf die Bürgerweide

Ischa balda wieda Freimaak. Noch zweimal schlafen, und viele Millionen Menschen haben wieder einen willkommenen Vorwand, wochenlang hemmungslos Dampfnudeln, Popcorn und Bratwürste zu essen, bis der Arzt kommt. Wer das nicht tut, ist ein Blödmann. Vielleicht sogar eine Blödfrau. Und vor allem: weder er noch sie dürfen sich, ohne becksgrün anzulaufen, wahre BremerInnen nennen. Denn die Tradition des Freimarktbesuchs reicht weit zurück. Schon die Ahnen, Urahnen, Ururahnen und alle Ahninnen bis hin zu Kaiser Konrad II., der im Oktober 1305 dem bremischen Erzbischof Bezelin erstmals den Spruch „Ischa Freimaak“ ermöglichte, haben sich immer im Oktober auf dem Freimarkt herumgedrückt.

324 SchaustellerInnen werden sich ab Freitag 17 Tage lang darum bemühen, Menschen Geld für sinnfreie Dinge wie Dosenwerfen, Lose kaufen und Getränke saufen aus der Tasche zu ziehen. Es könnte erheblich schlimmer sein. Immerhin gab es 800 Jahre lang auf dem Freimarkt nur Schnürsenkel, Blumentöpfe und Socken zu kaufen, weil erst 1809 ein Schausteller der Ödnis ein Ende bereitete und inmitten des reinen Warenmarktes das erste Karussell aufstellte.

Heute, o Wunder der Technik, werden Menschen mit 100 km/h durch die Achterbahn „Euro Star“ befördert, fliegen dabei laut Pressetext „wie ein Vogel und drehen sich wie ein Drehwurm“. Und kotzen anschließend wie ein Kotzbär. Egal, das macht Spaß, das gefällt. Ebenso wie die Indoorbahn „Star World“, die in rasanter Fahrt an Dark Raider, Delto Zwo & Co. vorbei durch eine Weltraumstation führen wird. Weiteres Highlight: „Sensorium Part 2“, das mit 20.000 Watt Surround-Tonanalage die Trommelfelle massiert und die Geschichte der Welt in zehn Minuten vom Ur- bis zum Atomknall für alle Sinne erlebbar machen will. Und dabei vor künstlich produzierten Schneetreiben, Regengüssen, Hitzewellen und Kältestürmen nicht zurück schreckt.

Für das Zufügen von Schleudertraumata und Lungenentzündungen müssen die BesucherInnen auch noch bezahlen, erfreulicherweise aber im Schnitt fünf Prozent weniger als im vergangenen Jahr. Betrinken wird allerdings ein teurer Spaß: Im Bayernzelt, wo schlechte Musik, ungemütliche Bänke und trunkene Menschen alljährlich eine bezaubernde Verbindung eingehen, kostet ein Liter Bier zwölf Mark und sechzig Pfennig. Andere suchtgefährdete Gruppen wie Zuckerwattenjunkies oder BratäpfelholikerInnen kommen da nach wie vor billiger weg.

„Bis zum Abwinken“, versprechen die Veranstalter, werden außerdem in der Halle 6 allabendlich ab 20 Uhr Musikstars zu hören sein. Vorsicht also: Je nachdem, wie früh Sie mit dem Winken beginnen, können die angekündigten Auftritte von Costa Cordalis, Torfrock oder der Spider Murphy Gang sehr kurzweilige Angelegenheiten werden. zott

Der Freimarkt wird am Freitag um 18 Uhr im Bayernzelt eröffnet und dauert bis zum 31. Oktober. Der Freimarktsumzug durch die City beginnt am 23. Oktober um 12 Uhr auf dem Marktplatz. Tags darauf (24. Oktober) ist wegen des Freimarkts verkaufsoffener Sonntag in der Innenstadt. Am 25. Oktober veranstaltet die Sparkasse ab 13 Uhr einen großen Kindernachmittag auf dem Freimarktgelände. Vom Uni-Parkplatz nahe der Autobahnausfahrt Horn-Lehe fahren im Minutentakt täglich Busse und die Straßenbahnlinie 6 non-stop zum Freimarkt und zurück.