: Doch dann wärmt die Rache das kalte Herz
■ Das Lesben Film Fest eröffnet im Arsenal mit Guido Hendericksx' Ragemovie „S.“
Es ist kalt in Belgien. Feucht und verregnet. Eine Geschichte wird in Bruchstücken erzählt, zerlegt, wie der Name der jungen Heldin: S. steht als eine Chiffre fürs Ganze, anonym. Der gleichnamige Eröffnungsfilm des diesjährigen Lesben Film Festivals entwirft eine Welt zwischen New York und Brüssel, in der Babypornos ein Partygag sind, die Gesichter entweder blue in the face oder im roten Licht der Gosse leuchten.
Die grandiose Natali Broods spielt S.: ein Videomaniac, die ihre eigenen Gewaltakte live filmt und sich zwischendurch immer wieder eine Aufzeichnung von ihrem Vater kurz vor seiner Hinrichtung anschaut: ein Rewind in die traumatische Vergangenheit. Die belgischen Justizskandale um Kinderpornografie mögen ein Hintergrund sein, in erster Linie beschreibt der Film aber den Alptraum einer Welt ohne Gesetz, in der die „Heldin“ zwischen masochistischem Pathos und splattermäßigem Overkill pendelt.
Dass der Eröffnungsfilm nicht von einer Frau stammt, ist ein vom Festival offenbar gerne geschaffenes Novum. Regisseur Guido Henderickx, Filmdozent und Dokumentarfilmer, vereint in „S.“ die Wohltaten eines Revenge-Films à la Abel Ferraras „Die Frau mit der 45er Magnum“ mit einer gehörigen Portion Ambivalenz. Und dann wird sogar noch ein Happy End mit der Geliebten (Inge Paulussen als Marie) angedacht. Weder Thriller noch Krimi, ist „S.“ eine hallizogene Reise durch eine abgründige Realität: Die exzessiven Momente, die gewalttätigen Akte finden in Absteigen und Hotelzimmern statt, in loser Folge und planlos. Wer S. gefährlich wird, stirbt schnell, aber selten sanft. Unterbrochen wird dieses Ragemovie nur von Monologen auf dem Badewannenrand, bei denen die Videokamera wieder zum Tagebuch wird, und durch rasante Autofahrten. S. sitzt einsam hinter dem Lenkrad, es regnet, das Leben ist kalt, doch die Rache wärmt anscheinend das Herz. Warum sonst lächelt die Heldin selbstvergessen, als sie einen Gelegenheits-Boyfriend mit einem knappen Dutzend Schüssen niederstreckt?
Daneben hat das Festival selbstverständlich auch die traditionellen Themenschwerpunkte im Programm – wie den japanischen Interviewfilm „We are Transgenders“ von Lulu Ogawa, der das öffentliche und private Leben transidentischer Menschen in Japan dokumentiert. Oder „Annie Sprinklees Herstory of Porn“: eine Kompilation von Sprinkles all-time-favorites, also Ausschnitte aus ihrer Sexfilm-Produktionen der letzten 25 Jahre.
Im Bereich Dokumentation und lesbischer Oral History ist „But I was a Girl“ von Tony Boumans hervorzuheben. Der Film erzählt mit viel historischem Material die verschlungene Lebensgeschichte der niederländischen Dirigentin und Cellistin Frieda Belinfante. Anfang der Dreißiger hatte Belinfante ein eigenes Orchester in Amsterdam, tauchte nach der deutschen Besetzung unter und arbeitete im Widerstand. Anhand von Zeitzeugen folgt der Film ihrer Spur bis nach dem Weltkrieg in die Hollywood-Studios, wo sie trotz homophober Anfeindungen Karriere machte. „But I was a Girl“ kommt ohne die heroische Attitüde anderer bekannter Recherchenfilme daher – eine der Festivalentdeckungen, die man auch gerne ganz regulär im Kino sehen würden. Gudrun Holz
Bis zum 17. 10. im Arsenal, Welserstr. 25
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen