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Fiese Launen der Autorin

Passt auf, was ihr träumt, es könnte in Erfüllung gehen: Sibylle Berg führt die Unglücklichen nach „Amerika“ und offenbart sich als sensible Menschenfreundin  ■ Von Eva Behrendt

Ein Pracht-Cover! Die Autorin sitzt keusch, doch rötlich blond onduliert, auf der äußersten Kante einer cremefarbenen Ledercouch. Ihre schwarze Robe mit pelzbesetztem Dekolleté schlägt sanft glänzende Falten und wallt noch ein Stück ins geschmacklos teure, golden schimmernde Ambiente, in dem auch ein monströses Doggenviech liegt. Ein Blick zwischen Arroganz, Perversion und Verletzlichkeit schweift aus dem Foto heraus, vom Leser weg, ihm über die rechte Schulter. „Lies mich“, lockt es mit zärtlicher Verachtung, „und leck mich am Arsch“.

Das Buch zum Bild könnte „Ivana“ oder „Melrose“ heißen. Sein Titel ist jedoch „Amerika“. Kaum anzunehmen, dass Sibylle Berg sich damit vor Franz Kafka verbeugen möchte, auch wenn dessen „Amerika“ als „Gegenwartsroman“ konzipiert und am Ende sehr komisch war. Sibylle Berg konzipiert umgekehrt komisch, was schließlich zur finsteren Gegenwartsanalyse gerät. Die Protagonisten Raul, Anna, Bert und Karla müssen darin zunächst ein traurig-einsames Dasein im verregneten Mitteleuropa fristen, für Momente gewärmt allein von Californian Dreams. „Amerika“, Synonym für die Wunschbilder von Ruhm und Schönheit, Reichtum und der großen, ewigen Liebe, ist nicht nur „L. A.“, Beverly Hills, Hollywood und Traumfabrik, sondern als Traum vor allem tyrannisches Trauma.

Obwohl keiner der vier Mitt- bis Enddreißiger sonderliche Sympathien weckt, gerät man schnell in den Sog ihrer Unzufriedenheit und Projektionen. Geht ihnen ja auch wirklich dreckig! Der penetrant schöne Callboy Raul wäre lieber reich und Künstler, muss aber alternde Geschäftsfrauen ficken – und das ohne anständige Erektion. Er verguckt sich hoffnungslos in Anna, die an der Seite eines reichen Mannes verschimmelt und dabei ihrer amerikanischen Obsession Toni nachtrauert. Karla, einst ein aufgehender Stern am Himmel der neuen deutschen Komödie, hat es in L.A. bloß in die Obdachlosigkeit geschafft. Zurück in Europa reicht es gerade noch für eine Stelle als Bibliothekarin. Der hässliche Bert, gefeuerter Journalist und eigentlich ein ganz netter Kerl, begibt sich gar unters Messer eines Schönheitschirurgen und erwacht – schrecklicher Kunstfehler! – nicht etwa verschönt, sondern geschlechtsumgewandelt.

Ein halbes Buch lang gewährt Berg ihnen die Gnade, ihr Schicksal zu reflektieren, die Kristallkugel der Zukunftsträume und schmachvollen Erinnerungen langsam in den Händen zu drehen. Denn dann heißt es plötzlich: „Passt auf, was ihr träumt, denn es könnte in Erfüllung gehen.“ In einer fast surrealen Verschachtelung der Chronologie führt Berg die Unglücklichen nach L. A. Dort kriegen sie, was sie wollen. In Bars und Villen, an Pools und Stränden schmoren sich die German Psychos weiter in Geld, Verlangen und den eigenen Säften zugrunde. Nur heißer ist es, wüster.

Um die Moral der Geschichte kommt man schwer herum, zumal die einzige glückliche Nebenfigur ein schlichtes, schwarzes Küchenmädchen ist: Übersättigte Zivilisationszombies veröden an ihrer eigenen Fantasielosigkeit, korrumpiert und traumatisiert von den plakativen Paradiesen der Konsum- und Unterhaltungsindustrie. Wer mit sich selbst nichts anzufangen weiß, dem helfen auch Geld, Schönheit und die Liebe nicht. Kulturpessimismus, die zweite? Haushaltsratgeber Psychologie? – Eine Art rabiater Zeit- und Gesellschaftkritik ließ sich auch aus Bergs früheren, sex- und kotzegesättigten Romanen herauslesen: Purer Splatter war das nicht.

In „Amerika“ hat die Autorin zudem das Grauen hauptsächlich in die Köpfe ihrer Figuren verlagert, wo sich die Gedanken um sich selber winden, quälen und zerfleischen. Nur noch gelegentlich bringt die Berg sich selbst ins Spiel, kommentiert etwa die skurril missratene Schönheitsoperation als „fiese Laune der Autorin“ und ruft sich mit einiger Albernheit zur Raison: „Ist ja gut, mäßigen Sie sich, sonst gibt es wieder schlechte Kritiken.“ Als müsse dringend der Verdacht getilgt werden, Sibylle Berg verlöre völlig die Distanz zu ihren erbärmlichen Loser-Helden. Dennoch kann der sperrige, oft genug ins Hämische abrutschende Tonfall in „Amerika“ die Intensität der inneren Tragödien nicht restlos als Wehleidigkeit bloßstellen.

Und damit zurück zum Umschlagfoto: Je heftiger Sibylle Berg in Text, Bild und Internet die geldgeile Schlampe, eiskalte Zynikerin und abgebrühte Misanthropin behauptet, sich als öffentliche Frau gleichzeitig ausstellt, karikiert und verbarrikadiert, desto mehr enthüllt sie die Show als solche. Man ist geneigt, sich Frau Berg als dünnhäutige Seele und zartfühlende Menschenfreundin vorzustellen, die leise zu Liebesfilmen weint und unter der Last des Erfolgs zu zerbrechen droht. Süß.

Sibylle Berg: „Amerika“. Hoffmann und Campe 1999. 238 Seiten. 36 DM

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