Der Cross-Dresser

■ Die Labeltour von Mille Plateaux bringt den Queer-Aktivisten Terre Thaemlitz

Die Theorie lebt. Sie arbeitet mit der Hand an Geräten, wischt sich ihren Schweiß mit Handtüchern ab und stoppt auf ihrer Fahrt mit kleinen klapprigen Bussen an Rockclubs wie der Hamburger Markthalle, um dort versprengten Grüppchen der sogenannten elektronischen Intelligenzia akustische Verfeinerungsstrategien zu bringen. Warum setzt sie sich der ernüchternden Realität aus, wohl wissend, dass die Übersetzung solch starrer Systeme im besten Falle wegen ihrer Brüche interessant ist?

Tatsächlich ist Terre Thaemlitz aber der einzige der versammelten elektronischen Avantgarde, der seine musikalischen Strategien erklärt. Das glamouröse Aushängeschild des ansonsten immer noch betont gesichts- und körperlosen Labels Mille Plateaux ist mitnichten das fragile, um die Reinhaltung seiner Klänge besorgte Wesen, das seine zahlreichen abstrakt-ambienten Tonträger vermuten lassen. Lange Jahre war der cross-dressende Queer-Aktivist aus New York, der seinen Körper, Musik und Theorie zum politischen Gesamtkunstwerk verbindet, als Deep-House-DJ in der Hedonismus-Branche tätig. Diese Musik und alle Formen von Elektro-Pop, speziell Kraftwerk und Gary Numan, sind die positiven Koordinaten seiner Arbeit, die sich gegen patriarchales, essentialistisches Denken und Handeln wendet.

Der Feind steht überall: „Silence = Death“, das Motto der Aids-Aktivisten wird ebenso in den Pool der produktiv kritisierten Ansätze geworfen wie fast alle anderen linken, aufklärerischen oder humanistischen Strategien. Sein Aktivismus ist nicht als Machtspiel, sondern als langfristig gedachtes Irritationsmoment zu verstehen: Es geht darum, durch das spezifische Mischen von Zeichen eine weitgehend ideologiefreie, systemkritische Sprache zu schaffen, die hofft, dass das Leben der Kunst folgt.

Damit steht Thaemlitz selbst in dem künstlerisch avancierten Mille Plateaux-Kontext relativ allein da. Denn unter der herbeibeschworenen Schirmherrschaft von Gilles Deleuze, verhält sich der an Sounddesign und Strukturforschung frickelnde Jungsklüngel gegenüber expliziten, gar gesellschaftlichen Standpunkten allergisch. Von daher könnte die Tour neben dem Ästhetischen noch einen weiteren Zweck erfüllen: vielleicht gelingt es Thaemlitz, der Laibach und Test Department als strategische Bezugspunkte nennt, die gemeinsame Zeit zur politischen Bewusstmachung zu nutzen.

Holger in't Veld

mit SND, Low Res, Porter Ricks: So, 17. 10. , 21 Uhr, Markthalle