Der Prophet

Der 59-jährige Terry Callier gilt als späte Neuentdeckung mit bewegter Soul-Vergangenheit  ■ Von Michael Hess

Eigentlich war der Mann schon immer ein Prophet. „I'm gonna make it some day, I'm gonna make it somehow“, nahm sich Terrence Orlando Callier 1962 auf seiner Debütsingle vor: „Then I'll be able to say: people look at me now.“ – Leute, schaut mich an!

Ein halbes Menschenleben später scheint sich der Traum des damals 23-jährigen Songwriters aus Chicago zu erfüllen. Wenn er, wie letztes Jahr, zur x-ten Zugabe die Bühne betritt, die tränenfeuchten Augen von den Scheinwerfern geblendet und kaum noch erkennt, wieviele tatsächlich dort unten stehen. Wenn sich ein uncharmanter Reeperbahn-Club, wo anlässlich seines ersten Albums nach 17 Jahren der kleine Promo-Gig stattfand, in einen brodelnden Soulstew verwandelt, weil Fans aus ganz Nordeuropa gekommen sind, um dem Mann Respekt zu erweisen. Kein Comeback, keine Wiederentdeckung, nein, in diesem Sinne gab es kaum Erfolge, an die Terry Callier hätte anknüpfen können. Der heute 59-jährige gilt nun vielen als Newcomer, von dem man, wie ein Kritiker zu Recht behauptet, „nicht weiß, wie sehr man ihn braucht, bis man ihn hört.“

Bereits mit drei Jahren begann Callier mit dem Klavierspiel, schrieb mit elf die ersten Songs und sang wie hunderttausend anderer schwarzer Teens in den späten 50ern in Doo-Wop-Gruppen. Erst auf dem College lernte er mit der Gitarre das Instrument lieben, das ihn später zur eigentlichen Fusion aus Folk, Jazz und Soul inspirierte. Schon sein Debüt versprach viel: Auf The New Folk Sound Of Terry Callier präsentierte sich 1964 ein Kaffeehaus-Folkie in Strickjacke, ein ernsthaft-sanftmütig dreinblickender junger Mann, der sich mit seiner Gitarre und zwei Bassisten Folk vom Jazz aus näherte. Ein waghalsiges Unternehmen, das durch die Schlamperei des damaligen Produzenten erst 1968 an die Öffentlichkeit gelang. Zu der Zeit hatte sich das Folk-Revival aber bereits überlebt und Calliers metaphernreiche und spirituell angehauchten Geschichten stießen in der gesellschaftspolitischen Umbruchphase der späten 60er auf taube Ohren.

Daran änderte sich wenig, selbst nachdem der Songwriter für andere Künstler erfolgreich war. Calliers 72er Album Occasional Rain wartete dann mit einigen reichinstrumentierten Northern-Soul-Nummern auf. Eine davon, „Ordinary Joe“, entwickelte sich zur Hymne. Ein Finger schnippender Hüftschwinger voller Galanterie und Wärme, der einen, wenn man nicht aufpasst, auf der Tanzfläche dumm wie ein Honigkuchenpferd grinsen lässt. Die Geschichte eines einfachen Straßenpropheten wurde die Story zu Calliers Traum. Denn trotz weiterer wegweisender Aufnahmen und einer kleinen Chartnotierung tröpfelte die Kariere mit den 70er Jahren aus.

Was blieb, waren drei große Alben und ein kleiner Zufall, der aus dem Soziologen und Computerprogrammierer Callier den Soul-Jazz-Propheten werden ließ. Mit „I Don't Want To See Myself (Without You)“ wurde 1990 auf Wunsch der englischen Acid-Jazzer um Gilles Peterson und Eddie Piller ein unwiderstehlicher Soulswinger wiederveröffentlicht. Bereits damals drückten Londoner DJs ohne mit der Wimper zu zucken hundert Pfund für rare Terry-Callier-Originale ab. Mittlerweile haben sich die Plattenaufleger auch hierzulande an ein euphorisiertes „Terry Wer?“ ihres Publikums gewöhnt. Gerade in Hamburg ist die Begeisterung im Callierschen Sinne stilübergreifend. Ob Jazz-Bar oder Soul-Schuppen, R&B oder Molotow, Terry Callier gilt unter Hamburgs DJs längst als sicherer Tanzbodenfeger.

Wenn er nun auf seinem aktuellen Album „It Will Take A Life Time“ singt, wissen wir warum. Ein wahrer Prophet kann warten und mit ihm die Fans. Nach dem Konzert am Montag steigt die innoffizielle After-Show-Party im Golden Pudel Klub. Und zwar am Mittwoch, mit respektvoller Verspätung.

Mo, 18. Oktober, 21 Uhr, Mojo

After-Show-Party: Mi, 20. Oktober, 23 Uhr, Golden Pudel Klub