Gewerkschaft in den Wechseljahren

■  Gestern beging der DGB in München seinen 50. Geburtstag – und debattierte über die eigene Zukunft. Die aber sieht alles andere als rosig aus. Gastredner Schröder gab sich denn auch verständlicherweise betont moderat

Berlin (dpa/AFP/taz) – Eines scheint klar: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) muss sich ändern. Und zwar so, dass er wieder für jüngere Arbeitnehmer interessant werde, meint seine stellvertretende Chefin, Ursula Engelen-Kefer. Dieter Schulte sieht das auch so. „Wenn wir junge Menschen jetzt nicht gewinnen können, sind sie auf Grund persönlicher Planungen für uns weg“, sagte der DGB-Chef gestern. Das hört sich ein bisschen verklausuliert an, ist aber durchaus selbstkritisch gemeint. An seinem 50. Geburtstag weiß der DGB, dass er als Massenorganisation auf dem absteigenden Ast ist.

Gestern feierte der DGB, der im Oktober 1949 in München gegründet wurde, unter dem Motto: „Bewegte Zeiten – mitgestalten, mitbestimmen, mitverantworten“. In seiner Rede machte Schulte seinen Kollegen Mut. Der DGB werde auch künftig „keinem Streit aus dem Weg gehen“, um für die Rechte der Arbeitnehmer und soziale Gerechtigkeit einzutreten, sagte er. Für den DGB sei weiterhin die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit das oberste und wichtigste Ziel. Schulte machte darauf aufmerksam, dass sich die Handlungsmöglichkeiten für Gewerkschaften einschneidend verändert haben. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit könne heute nur im europäischen Maßstab erfolgreich sein. Allerdings müsse jeder in seinem Bereich beginnen. Zum aktuellen Konflikt mit der rot-grünen Regierung um das Sparpaket sagte Schulte, die Gewerkschaften seien keine „Ersatzpartei“ und dürften auch nicht zum „Helfershelfer der einen oder anderen Partei werden“. Die Gewerkschaften blieben auch in Zukunft auf das Allgemeinwohl bedacht. „Wir bleiben kritische Wegbegleiter jeder Regierung“, sagte der DGB-Chef zu seinen 600 Zuhörern.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) antwortete im moderaten Ton. Die politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität Deutschlands, „auf die wir mit Stolz blicken können, das ist nicht zuletzt auch ein Verdienst des DGB“, sagte er.

Drei Tage hatte der DGB in München um seine Zukunft debattiert. Tragfähige Konzepte aber scheinen nicht gefunden zu sein. Zweifellos, einen Machtfaktor stellt der DGB noch immer dar: 8,3 Millionen Mitglieder zählen die zwölf Einzelgewerkschaften, die sich unter seinem Dach sammeln. 1991 waren es noch 11,2 Millionen. Dem DGB bröckelt nicht nur die Basis weg, seine Mitgliederstruktur entspricht auch eher der Arbeitswelt von vorgestern. Das durchschnittliche Mitglied der Gewerkschaften ist männlich, Facharbeiter und älter als 40. Jeder Fünfte hat bereits mit der Arbeitswelt nicht mehr zu tun – er ist Rentner. Frauen fühlen sich selten in der Gewerkschaft wohl. Eine Studie der IG Metall belegt, dass zwischen 1995 und 1998 der Mitgliederrückgang bei Frauen weit höher lag als bei Männern. „Junge Frauen sind durchaus bereit, sich zu konkret zu engagieren“, heißt es. Doch seien ihnen die Strukturen und Formen in der IG Metall fremd. „Sie möchten flache Hierarchien, kooperative Arbeitsformen und unkonventionelle Politikformen“, stellt die IGMetall-Spitze fest. Frauen seien an Angeboten interessiert, in die sie sich als gleichberechtigt einbringen und handeln können.

Dass Gewerkschaftsführer es schwer haben, mit jungen Leuten in Kontakt zu kommen, zeigte sich auch in München. Bei einer Diskussion zwischen Jugendlichen und Gewerkschaftschefs wurde deutlich, dass den Alten oftmals die Sprache fehlt, mit den Jungen zu reden. Franz-Josef Möllenberg, Chef der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten, sagte, die Gewerkschaften „müssten den Menschen eine Heimat bieten, in der sie sich wohl fühlen können“. Als er einräumte, vielleicht hätten sie den „Spaßgedanken ein bisschen in die Ecke gestellt“, hörte er von seinem 24-jährigen Podiumsnachbarn Dirk Schönlebe: „ Wenn ich Spaß haben will, gehe ich nicht in die Gewerkschaft.“ roga