Auch Frauen haben jetzt eine Stimme

Niger, eines der ärmsten Länder der Welt, versucht mit freien Präsidentschaftswahlen einen neuen Anlauf zur Demokratie nach Jahren der Militärherrschaft. Die Wahlen bedeuten auch einen gesellschaftlichen Aufbruch  ■ Aus Niamey Sandra van Edig

„Diesmal werden die Frauen selber wählen gehen, anstatt ruhig zu Hause zu sitzen und ihre Männer machen zu lassen“

Schon am frühen Morgen begrüßen sich die jungen Männer am Wahlstand. Jemand bereitet in einer kleinen Emaillekanne grünen Tee zu und verteilt ihn mit viel Zucker versetzt in kleinen Gläsern. Ein alltägliches Schauspiel in Niamey, der Hauptstadt Nigers. Besonders in den kühlen Stunden des Morgens verabreden sich die Männer gerne zum Tee und tauschen Neuigkeiten aus.

Über Politik spricht man dabei eher selten. Das hat sich in diesen Wochen kaum geändert, obwohl Wahlkampf in Niger herrscht. Am Sonntag sind die Nigrer aufgerufen, ihren Präsidenten neu zu wählen. Die eventuelle Stichwahl ist für den 24. November geplant. Der regierende Oberst Wanké will das Land so nach nahezu vier Jahren Militärherrschaft auf demokratische Wege zurückführen. Nigers erstes demokratisches Experimenr von 1993 – 96 wurde im Januar 1996 durch einen Militärputsch beendet; der damalige Putschist Baré wurde am 9. April dieses Jahres von Militärs unter Führung des jetzigen Herrschers Daouda Mallam Wanké getötet. Wanké selbst kandidiert bei den anstehenden Wahlen nicht.

Bunte Girlanden und Fähnchen schmücken die Hauptstadt. Ab und zu blockiert mit lauten Gehupe ein Autokonvoi den Feierabendverkehr. Frauen sitzen in den geöffneten Fenstern der Autos, ein Kopftuch in der Farbe ihres Kandidaten um den Kopf gebunden, und singen Parolen wie: „Wählt Tanja Mamadou, der einzig richtige Mann für den Niger“ oder „Nur Mahamdou Issoufou kann alle Nigrer wiedervereinen“. Ihre Stimmen werden im Lärm des Berufsverkehrs verschluckt.

„Die Menschen sind resigniert, sie sorgen sich eher um ihr weiteres Überleben als um die anstehenden Wahlen“, bemerkt Abdou, Lehrer an einer staatlichen Schule. Bei den ersten demokratischen Wahlen im Niger 1993 seien die Menschen noch euphorisch gewesen, man habe noch an eine bessere Zukunft geglaubt. Doch die Politiker hätten diesen Glauben schändlich missbraucht. Sechs Jahre und zwei Militärputsche später sei das Land keinen Schritt weiter.

Nun sind es dieselben Politiker wie 1993, die sich zur Wahl stellen. „Wie sollen wir da zuversichtlich sein?“, fragt sich Abdoulaye Massalachi, freier Journalist in Niamey. Dennoch werden die Leute zur Wahl gehen, erwartet Maitre Issaka Souna, Präsident der Wahlkommission. Denn viele seien sich bewusst, dass dies womöglich die letzte Chance für eine Rückkehr zur Demokratie ist. Und Optimisten behaupten, dass die letzten Jahre auch für die Politiker Lehrjahre waren und sie aus ihren Fehlern gelernt haben.

Vermutlich der aussichtsreichste der sieben Präsidentschaftskandidaten ist ein „junger“ Politiker, der anders als seine Gegner bisher nur wenig Gelegenheit hatte, sich politisch zu disqualifizieren: Der 48jährige Mahamadou Issoufou, der sich während der Militärherrschaft General Barés 1996 – 99 als unbeugsamer Demokrat zeigte und allen Drohungen und Beschimpfungen widerstand. Seine uneingeschränkte Ablehnung eines jeden Militärregimes macht ihn besonders unter Gewerkschaftlern und jungen Intellektuellen zum Favoriten. Auch die Militärs, allen voran Juntachef Wanké, unterstützen Issoufou – aber aus anderen Gründen. Denn Issoufou sichert den Putschisten des 9. April im Fall eines Wahlsieges eine Amnestie zu, wie sie auch bereits in der neuen Verfassung steht.

Wahlprognosen sind jedoch fast unmöglich – denn es könnte sein, dass Nigers Frauen den Ausgang der Wahlen bestimmen, und mit Frauen haben die Meinungsforscher keine Erfahrungswerte. Jahrelange Basisarbeit im streng islamischen Niger hat Früchte getragen, meint Jeanne Fatondji, Richterin am Justizpalast von Niamey: „Die Frauen werden selber wählen gehen, anstatt ruhig zu Hause zu sitzen und ihre Ehemänner machen zu lassen.“

Die Stellung der Frau im Niger ist im Wahlkampf zu einem Politikum geworden. Seit Wankés Übergangsregierung die UN-Konvention zum Schutz der Frau ratifizierte, mobilisieren Islamisten gegen die Regierung. Seit einem Monat wird in der großen Moschee am Grand Marché in Niamey jeden Freitag über Lautsprecher gegen die Konvention gepredigt. Vor wenigen Tagen verwüsteten Islamisten in der Stadt Maradi einen privaten Rundfunksender, der eine Sendung über die Frauenkonvention ausgestrahlt hatte.

Wahlkommissionschef Issaka Souna hat festgestellt, dass selbst in ländlichen Gegenden die Leute die Politik heute sehr genau verfolgen. „Wenn man am Abend in manche Dörfer kommt, kann man beobachten können, wie die Männer des Dorfes vor einem öffentlichen Fernseher versammelt sind, um die Nachrichten in Nationalsprachen zu verfolgen.“

Der Schriftsteller Adamou Idé kann dagegen kein politisches Interesse bei der Landbevölkerung entdecken. „Was können die Leute auf dem Land denn mit Demokratie anfangen?“, fragt er. „Für sie hat sich in den letzten Jahrzehnten nichts verändert, ihr Interesse ist der Regen, die Ernte und ob sie ihre Familie satt bekommen.“

Die grundlegende Hoffnung der Nigrer ist ganz einfach: dass sich die prekäre politische und ökonomische Lage ihres Landes nach den Wahlen von heute auf morgen ändert. Nicht selten hört man Leute in Niamey sagen: „Ja, nach den Wahlen wird wieder alles besser. Die internationale Hilfe wird wieder fließen.“

Tatsächlich aber fragt man sich, wie die nächste Regierung mit der Situation des Landes fertig werden soll. Die Staatskassen sind leer, internationale Hilfe fließt nur noch spärlich, und seit dem 14. September hat auch die Weltbank ihre Zuwendungen gestoppt. Dieses Geld fehlt jetzt in den Kassen, sodass die vollständige Finanzierung der Wahlen noch nicht abgesichert ist. Kein Wunder, dass sich nach wie vor Gerüchte halten, die einen Staatsstreich am 17. Oktober voraussagen.