Auch in der Pause?

Mit dem Feminismus ist das so eine Sache: Die Probleme sind nicht gelöst, doch wer will heute schon frauenbewegt sein? Junge Frauen sehen keine Probleme, einstige Emanzen verdrücken sich in akademische Ecken, der problembewusste Rest macht Pause. Wer soll da noch kämpfen? Und vor allem: Soll da noch jemand kämpfen? Eine Buchlese von Sylvia Meise

Männer kochen, putzen Fenster und schieben Kinderwagen. Na also, es geht doch! Warum dann noch das Gejammer? Egal, wie harsch die Kritik an Art und Form des Feminismus auch ausfällt, eines ist unstrittig: Die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen an der Gesellschaft steht noch aus. Frauen stellen die Hälfte der Weltbevölkerung, leisten fast zwei Drittel der Arbeitsstunden, verdienen dabei ein Zehntel des Welteinkommens, und vom Weltvermögen gehört ihnen laut UNO sogar nur ein Hundertstel. Im durchschnittlichen bundesdeutschen Alltag liegen die Frauengehälter rund 29 Prozent niedriger als die der Männer.

Also doch kein Anlass zur Siegerlaune, bewerten Susanne Weingarten und Marianne Wellershoff diese Fakten. In ihrem Buch „Die widerspenstigen Töchter“ sichten sie das Erbe der Altfeministinnen und fragen, warum es niemand haben will. Das Lob, das sie der Siebzigerjahrefrauenbewegung aussprechen, paaren sie mit geharnischter Kritik: Der Feminismus habe versagt. Er habe sich verbittert in der akademischen Nische verschanzt und den Kontakt zur Realität der Frauen verloren.

Diese Kritik findet sich unisono in den aktuellen Veröffentlichungen zum Thema, und auch eine private Umfrage bestätigt die Alltagsferne feministischer Utopien. Katharina Rutschky schreibt in ihrem Essay „Emma und ihre Schwestern“ bissig: „Angekommen ist die Frauenbewegung wieder dort, wo sie vor hundert, zweihundert Jahren angefangen hat: auf dem Papier.“ Neu daran sei immerhin, dass die Frauenforscherinnen es selbst beschriften. Was sie dem vielfältigen Frauenalltag jedoch nicht näher bringt.

Cornelia Koppetsch und Günter Burkart haben die Gleichberechtigung von Paaren aus verschiedenen Milieus analysiert. Die Ergebnisse der Studie tragen den deutlichen Titel „Die Illusion der Emanzipation“. In traditionell ausgerichteten Paarbeziehungen (Ehemann als Hauptverdiener) werde die alte Rollenverteilung mit zeitgemäßem Vokabular aufgepeppt, heißt es dort. Für ihre Machtbedürfnisse nutzten die „Finanzmanagerinnen“ und Erziehungsprofis verdeckte Listen und subersive Aktionen – genau wie ihre Großmütter. Gleichberechtigung durchsetzen hingegen bedeutet Kampf und kann Liebe kosten. Dazu seien höchstens Paare mit akademischer Bildung bereit. Notfalls werden Konfliktklippen umschifft, indem man eine Haushaltshilfe einstellt. Augenwischerei oder elegante Lösung? Verblüfft bilanzieren die Soziologen: Leichter ist es, in einem Betrieb die Frauenquote durchzusetzen als Hausarbeit gleich zu verteilen. Zu Hause greife man immer wieder auf die Verhaltensmuster der Eltern zurück.

Feminismus hilft nicht, also lesen Frauen Ratgeber- oder Trivialliteratur als Verständigungstexte für das Leben ohne Vorbild. Ihre Strategien stammen von Hera Lind oder Linda Barnes (Frauenkrimis), aus Therapiestunden oder Seminaren. Bloß eines tun sie nicht: in Massen Frauenbuchläden oder -zentren stürmen, summieren Susanne Weingarten und Marianne Wellershoff.

Eine private, nicht repräsentative Umfrage „Was hat Feminismus mit deinem Leben zu tun?“ fällt vor allem bei den Jüngeren zwischen 23 und 37 Jahren negativ aus. Etwa Claudia, 27. Sie urteilt, für die Frauen sei schon viel erreicht. „In meinem Umkreis beobachte ich, dass sich beide um Gleichberechtigung in der Partnerschaft bemühen.“ Als Ostdeutsche erinnert sie, dass Frauen in der DDR sowieso gefördert wurden. „Für mich ist das nicht neu, dass man das alles machen kann“ – später fällt ihr ein, dass ihr Vater sich gerne bedienen ließ, und schiebt es auf die ältere Generation. „Ich weiß nicht, ob eine neue Frauenbewegung nötig ist. Das kommt schon so nach und nach. Die Frauen machen das ja eh, wie sie das wollen.“ Ihr Schlusswort: „Es wird nie mehr Frauen als Männer geben da oben, denn die Männer haben die besseren Nerven.“

Oder Sabine, 36. Sie ist davon überzeugt, dass Frauen sowieso stärker seien als Männer. Dass sie von der Arbeit der Feministinnen profitiert, räumt sie ein, dennoch ist die Frauenbewegung für sie negativ besetzt: „Radikale Frauen mit lila Tüchern, die nicht so gut mit Männern klarkommen.“

Ganz anders dagegen die Auffassungen von Gleichberechtigung ab vierzig. Diese sind so differenziert wie die Erfahrungen, die dahinter stehen. Regina, 41. Sie bewertet positiv, dass Feminismus geholfen habe, „Ängste zu überwinden“. Dabei sei allerdings das Gemeinsame zu kurz gekommen: „Ich würde es heute ablehnen, das Prinzip ,Wir brauchen die Männer nicht‘. Es wird immer wieder geforscht, was uns trennt, aber nicht, was uns stabilisieren und verbinden könnte.“ Peter, 52, wünscht den Frauen „noch mehr Selbstbewusstsein“, und Johanna, 51, ärgert sich über Statements wie „Wir können doch alles machen, wir haben doch die Gleichberechtigung“. Das seien Frauen, denen sich die relevanten Fragen noch nicht gestellt hätten. „Wie etwa wenn man Kinder hat und die unvermeidbare Frage auftaucht: Gehe ich wieder arbeiten? Schaffe ich das: Kinder und Beruf?“ Das schafften doch nur die Frauen ganz locker, die eine wirtschaftlich gute Ausgangsbasis oder einen besonders emanzipierten Partner haben – „die halte ich für privilegiert“.

Den Vorwurf von Susanne Weingarten und Marianne Wellershoff, die Alice-Schwarzer-Generation sei unflexibel und dogmatisch gewesen, weist der 44-jährige Wolfgang zurück. „Das war doch sehr professionell“, urteilt er. Vergleichbar der Forderung der Grünen nach fünf Mark Benzinpreiserhöhung. „Hätten sie zehn Pfennig mehr gefordert, wäre die Entrüstung genauso groß gewesen und heute wäre das Benzin vielleicht nur zwei statt zwanzig Pfennig teurer.“ Forderungen seien immer unpopulär und Revolutionen ohnehin.

Dennoch bedeutet es heute den Frauen nicht mehr viel. Ein schon mehrfach zitierter Spruch bringt die Krise auf den Punkt: „Die Antwort heißt Feminismus – und wie war noch mal die Frage?“ Das Hamburger Projekt „Frauenwoche“ hatte sich damit nach fünfzehn Jahren verabschiedet.

Der Feminismus, wie er sich in der westlichen Kultur entwickelt hat, ist auch ein Kind der Moderne, seine Probleme sind auch Spiegel modernen Denkens“, relativiert die Feministin Christina Thürmer-Rohr in „Vagabundinnen“. Wer also jammert, dass Frauen nicht mehr kämpfen wollen, übersieht, dass es die gesamte junge Generation ist, Frauen und Männer, die keine Lust am Massenaufstand zeigen.

Eine neue Frauenbewegung müsste sich eng an den Bedürfnissen der Frauen ausrichten, fordert das Autorinnenduo Weingarten/Wellershoff, und auch die amerikanische Feministin Elisabeth Fox-Genovese weist darauf hin, dass die Forderungen häufig an der Praxis vorbei gehen. In ihrem Buch „Ich bin keine Feministin, aber ...“ fragt sie vor allem danach, wie liebevolle Partnerschaften unter dem Vorzeichen von Gleichberechtigung zu verwirklichen seien. Und langt forsch in die feministischen Empfindlichkeiten, wenn sie die Forderung nach öffentlicher Kinderbetreuung verurteilt. Wenn Kinderbetreuung nur dazu da sein solle, die Berufstätigkeit der Frau, nicht aber die Gleichberechtigung innerhalb der Familie zu ermöglichen, hält sie das Konzept für fahrlässig den Kindern gegenüber. Daraus folge nämlich, dass Kinder ihre Eltern nicht brauchten. Das Ergebnis heiße Lieblosigkeit und Verwahrlosung.

Das Politische an den Frauenproblemen wurde ins Private abgedrängt, da sind sich die Autorinnen einig. Die Emmanzen haben sich in Einzelkämpferinnen verwandelt, die zu spät bemerken, dass es noch immer Grenzen für Frauen gibt. Bis sie zwanzig sind, gilt die Gleichberechtigung. In diesem Alter, wo man mit Frechheit alles Mögliche erreichen kann, glauben sie, die Emanzipation sei vollzogen. Danach erst geraten sie ins Sperrfeuer männlicher Konkurrenz und spüren die berüchtigten gläsernen Decken. Der Kampf beginnt also tatsächlich erst, wenn sich die „relevanten Fragen“ stellen. Dann strickt sich jede das Modell zusammen, das sie aushalten kann. Exemplarisch dafür zwei Positionen: Weingarten und Wellershoff plädieren leidenschaftlich für eine „neue Frauenbewegung“, Katharina Rutschky empfiehlt am Ende ihrer „Ausflüge in den real existierenden Feminismus“ eine „lange Pause“.

Sylvia Meise, 37, Autorin aus Frankfurt, schreibt über Soziales, Familie und Psychologie

Literatur

Susanne Weingarten/Marianne Wellershoff: „Die widerspenstigen Töchter“. KiWi, Köln, 269 S., 24,90 Mark

Christina Thürmer-Rohr: „Vagabundinnen“. Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt (erweiterte Ausgabe), 256 S., 18,90 Mark

Katharina Rutschky: „Emma und ihre Schwestern. Ausflüge in den real existierenden Feminismus“. Hanser Verlag, München, 158 S., 29,80 Mark

Cornelia Koppetsch/Günter Burkart: „Die Illusion der Emanzipation“. UVK, Konstanz, 344 S., 38 Mark

Elisabeth Fox-Genovese: „Ich bin keine Feministin, aber ...“. Rowohlt, Reinbek, 350 S., 42 Mark