Alles echt und doch alles Kulisse

Wo stirbt das Hamburger TV-Mordopfer? Im malerischen Hafen, auf der sündigen Reeperbahn. Plakativ filmen die Regisseure an der Realität vorbei   ■  Von Christian Buß

Hamburg? Kenn ick! Ohne jemals dort gewesen zu sein. Für die Stadt existiert eine irreversible mediale Repräsentation

Ein komischer Haufen schippert da in einer kleinen Barkasse durch den Hafen. Wie jedes Jahr während des Hamburger Filmfestes haben sich Produzenten, Regisseure und Journalisten zur Locationtour eingefunden, einer Art Butterfahrt mit angeschlossener Setbesichtigung. Während die Medienheinis mit Korn und Fischbrötchen bei Laune gehalten werden, ziehen an dem Kahn die durch Kino und Fernsehen sattsam bekannten Elb-Impressionen vorbei. Hier der backsteinrote Chic der Speicherstadt, dort der marode Charme einer alten Lagerhalle.

Im Hamburger Hafen ist alles echt – und doch alles Kulisse. Denn dieser gut 7.000 Hektar einnehmende Wirtschaftsraum ist nicht nur Deutschlands größtes Logistikzentrum für Seegüter, es ist mit seinem pittoresken industriellen Flair auch das gewaltigste Ballungszentrum für die Locationscouts des Filmbetriebs. Hier gibt es kaum einen Schuppen, der noch nicht für eine geheime Geldübergabe in stimmungsvolles Licht getaucht wurde, und keinen Poller, der nicht schon mal eine rührende Liebesszene in der aufgehenden Morgensonne gesehen hat. Allein während die Barkasse mit dem Medienvolk unterwegs ist, haben sich sieben Produktionsteams in verschiedenen Ecken des Hafens eingerichtet. Die Kinderserie „Die Pfefferkörner“ wird hier ebenso abgedreht wie eine Szene aus „Bella Block“, der Senioren-Krimi „Adelheid und ihre Mörder“ genauso wie der Action-Schmock „Die Rettungsflieger“.

So ist die Verwaltung und Organisation der unterschiedlichen Locations inzwischen ein eigener Wirtschaftszweig. „Damit verdient man keine große Summen, aber mittelbar kommt man doch auf seine Kosten“, berichtet Heinz Oberlach, der Sprecher der Hamburger Hafen- und Lagerhaus AG, die alljährlich mit dem Hamburger Locationbüro die Tour organisiert. 75 Prozent des Güterumschlags kontrolliert das Unternehmen. Außerdem koordiniert es die unterschiedlichen Filmarbeiten. „Früher ging hier jedes Team auf eigene Faust los, aber es gibt im Hafen einfach zu viele Instanzen, mit denen man sich arrangieren muss – vom jeweiligen Unternehmen bis zum Zoll. Wir kümmern uns auch um die nötigen Formulare.“

Während Oberlach auf der Locationtour an einer Karte die Geografie des Hafens erläutert, kriegt er einen glasigen Blick. Denn das romantische Flair, das der Hafen in vielen Filmen vermittelt, ist in Wirklichkeit so gut wie wegmodernisiert. Besonders der Konkurrenzdruck zu Rotterdam führt zu einer unerträglichen Situation. Die Reeder wollen möglichst schnell ihre Schiffe entladen, am besten innerhalb von 24 Stunden. Der Wettlauf beim Löschen der Ladung hat die gesamte Infrastruktur verändert. So legen die großen Containerschiffe nur im technisch aufgerüsteten Waltershofer Hafen im Westen an, während die Terminals im Osten sukzessive zu Lagerflächen umfunktioniert werden. In die hübschen roten Klinkerbauten in der Speicherstadt hingegen mieten sich verstärkt Firmen aus fremden Wirtschaftszweigen ein. Und schließlich soll das riesige Areal im äußeren Osten, das infolge der industriellen Wanderbewegung teilweise brachliegt, in eine Hafen-City mit Büros und Wohnungen verwandelt werden. Im Film kommt dieser Strukturwandel überhaupt nicht vor. Schließlich ist so ein streng funktionalistischer Maschinenpark, in dem die Container in Akkordgeschwindigkeit von Bord geräumt werden, nicht besonders stimmungsvoll. So ein maroder Schuppen im Osten bietet die spannendere Kulisse für eine Verfolgungsjagd. Im Kino und Fernsehen ist der Hafen nur mit Stereotypen vertreten. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn nicht so viele Produktionen mit dem Odeur des Authentischen daherkämen.

Aber es ist ja auch gar nicht mehr möglich, für Hamburg so etwas wie echte Bilder zu finden. Und das liegt nicht nur daran, dass sich mit Sönke Wortmann („St. Pauli Nacht“) und Reiner Kaufmann („Long Hello And Short Goodbye“) in unmittelbarer Folge zwei der wenigen kassenträchtigen Kino-Regisseure an der Elbluft berauscht haben – um dann doch nur die sattsam bekannten Kiez-Postkarten zu verschicken. Jeder Ort ist hier aufgeladen mit Bedeutung, weil er schon tausendmal abgefilmt wurde. Hamburg? Kenn ick, wa! Ohne jemals aus dem Fernsehsessel aufgestanden zu sein.

Für diese Stadt existiert eine irreversible mediale Repräsentation. Wenn eine Serie in der aufregenden Medienwelt spielt, mietet sich das Team grundsätzlich im neuen England-Anleger ein, wo früher mal die Jahreszeiten-Renommier-Objekte Tempo und Woche saßen. So sieht verdammt noch mal eine Redaktion aus! Wenn eine Serie hingegen von Verbrechen und Laster erzählt, kurvt man mit der Kamera erst mal die Rotlichtallee der Reeperbahn runter. Noch schlimmer aber ist es, wenn sich eine Serie in so genannte soziale Brennpunkte begibt – auch die Backstein-Tristesse von Wilhelmsburg funktioniert nur noch als etwas schale Chiffre für den Rand der Gesellschaft.

So darf sich jeder Regisseur in den für Shootings bestens geordneten Raum von Hamburgs urbaner Erlebniswelt begeben, um schnell ein paar schnittige Großstadt- und Hafenimpressionen zusammenzudrehen. Nur sollte man dabei nicht glauben, dabei die Kamera aufs echte Leben zu halten.