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Learning by Surfing

Internetkunst als soziologische Exkursion: Die neue Ausstellung „netz_bedingungen/net_condition“ am Karlsruher ZKM setzt auf „Interkompetenz“  ■   Von Jürgen Berger

Irgendwann drückt jeder die Enter-Taste: Der Spieltrieb weist den Weg in die Netzgesellschaft

Der Mensch hat einen angeborenen Nachahmungstrieb, er lernt gern spielerisch. Dass das Lernen mit „höchster Lust“ verbunden sein kann, meinte schon Aristoteles in seiner Poetik. Unbedingt daneben lag er mit der Annahme nicht, wie man derzeit im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie an sich selbst testen kann.

Nach dem leibhaftigen Eintritt in die erste umfassende Präsentation zur Computer- und Netzkunst bewegt man sich wie auf einer Brücke zwischen realem und simuliertem Raum und steht vor einer Entscheidung: Was tun? Bedingungslos in die Möglichkeiten computeranimierter und netzgenerierter künstlerischer Kreativität eintauchen oder die Fülle der Arrangements lediglich zur Kenntnis nehmen, als sei man in eine Ausstellung zur Geschichte des PC-Arbeitsplatzes geraten?

Natürlich ist die Entscheidung eigentlich keine. Da es alle so machen, drückt man früher oder später die erste „Enter“-Taste, und das spielerische learning by surfing als Erkundung eines von Computerkünstlerhand vorgezeichneten PC-Universums beginnt. Durchwandern wie eine Kunstausstellung kann man „net_condition“ nicht. Meist ist die eigene Beteilung notwendig, da die PC-Arrangements sonst leblos bleiben und auf den Bildschirmen lediglich Strukturen oder Benutzeroberflächen zu sehen sind.

Dabei wird alleine schon die Betätigung einer Tastatur oder das Bewegen eines Cursors zum kommunikativen Akt in einer Ausstellung, in der sich Computer-, Internet- und Medienkünstler die Frage nach den sozialen Bedingungen und Auswirkungen unserer Netzwelt stellen. Es ist paradox: Einerseits wird in Karlsruhe Kunst präsentiert, deren sichtbare Oberfläche sich aus immateriellen Vorgängen auf Platinen generiert. Gleichzeitig aber laden die Arrangements den Betrachter zu höchst materiellen Eingriffen ein.

Peter Weibel, der seit letztem Jahr das ZKM leitet, spricht im Zusammenhang mit seiner ersten großen Ausstellung, die vernetzt und gleichzeitig in Graz, Tokio und Barcelona zu sehen ist, von einer „Kartographie aktueller Internetkunst“, in der man sich einen Überblick über die kommende Netzgesellschaft verschaffen könne. Dass der Ursprung jeglichen kommunikativen Aktes dabei im Spieltrieb wurzeln dürfte, spürt man angesichts jeder der von ihm und anderen Kuratoren ausgewählten PC-Installationen.

Bei Marcus Huemers „The Rules are no Game“ etwa wird der kommunikative Akt geradezu körperlich vollzogen. Man betritt Jackson Pollocks vergrößertes und auf dem Boden liegendes Bild „No. 32“. Je nach Bewegung und Bodenkontakt werden unterschiedliche aus dem Internet geladene Textbilder auf Wände projiziert. Ein klassisch hergestelltes Bild wird mit Füßen getreten, was allerdings nicht seine Zerstörung, sondern neu generierte Bilder zur Folge hat.

Neben diesen interaktiven Environments stehen intime Black Boxes, die nach dem Eintritt mit Überraschungen aufwarten. Ein durchgängiges Motiv: Der virtuelle Raum wird möbliert und der Internet-Kälte eine schnucklige Plüschatmosphäre entgegengesetzt. Johannes Goebel/Torsten Belschner/Bernhard Sturms „Musikschrank Rheingold“ etwa versetzt einen in die Fünfzigerjahre: Man kann sich der Nierentischästhetik anheim geben und am rheingoldigen Musikschrank spielen, der dereinst den Egerländern vorbehalten war. Sucht man nach Sendestationen und verfolgt fasziniert die Schärfe/Unschärfe-Anzeige des magischen Auges, werden Radiostationen und Tondokumente von Radio Belgrad bis zu einer Hitlerrede aus dem Internet abgerufen.

Ein Beispiel für Internet-Kunst als soziologische Exkursion, die Peter Weibels Definition einer künftigen Rolle des Künstlers illustriert. „Die Künste haben sich lange Zeit um wichtige gesellschaftliche Felder nicht gekümmert, da es zum Beispiel klar schien, dass dafür unter anderem Soziologen zuständig sind. Wenn sich Künstler über diese Grenzen hinaus bewegen, kommt es immer noch zum sogenannten 'Science War‘. Das muss und wird aufhören. Wir am ZKM sind gegen antimodernistische Impulse und unterstützen die zunehmende Ausdehnung von Interkompetenzen, da hier die Zukunft von Kunst und Wissenschaft liegt“, sagt Weibel, der dem Laien mit seiner Millenniumsausstellung und der gesamten ZKM-Arbeit unter anderem auch Einblicke in scheinbar hermetische Wissenschaftsbereiche ermöglichen will.

Der Ansammlung von immens viel Wissen in Expertencliquen stehe der berechtigte Anspruch des Laien gegenüber, bei der Konstruktion der Wirklichkeit mitzusprechen, sagt der ZKM-Chef, für den es auch eine Nagelprobe sein dürfte, ob seine Netzkunstausstellung eine breite Akzeptanz finden wird. Bei einem der Exponate dürfte es auf keinen Fall Vermittlungsprobleme geben.

In Alexej Schulgins ironischer Rückübersetzung der immatriellen Software Internet-Sex in eine materielle Hardwarekomponente werden keine Web-Sites mit einschlägigen Kontakten angeboten, Shulgin gibt in „FuckU-fuckme“ auf einer Homepage vor, er könne zwei unterschiedliche Geräte für den weiblichen und männlichen Teil der Menschheit anbieten. Und die seien in der Lage, aus jedem Computerterminal eine Kopulationsmaschine zu machen. Bestellen kann man sein „Genital-Drive model F or M“ zum Preis von 499,95 US-Dollar.

Die „netz_bedingung“-Schau läuft noch bis zum 9. Januar 2000 im ZKM Karlsruhe, der Katalog erscheint im Frühjahr. Im Internet unter: www.zkm.de

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