Slawische Verlobte streiten sich um Aussteuer

Erneuter Anlauf zur Union zwischen Minsk und Moskau. Interessen der beiden Präsidenten stehen im Wege  ■   Von Barbara Oertel

Das Eheversprechen zwischen Russland und Weißrussland, das die Präsidenten Boris Jelzin und Alexander Lukaschenko im April 1996 besiegelten, war von Anfang an kaum ernst zu nehmen. Kürzlich erfolgte ein neuer Versuch, dem toten Papier Leben einzuhauchen. Ende vorigen Monats gab Jelzin für den mittlerweile dritten Entwurf des Unionsvertrages grünes Licht. Das Dokument soll jetzt einen Monat lang in beiden Ländern diskutiert werden.

Zwei Tage vor der Veröffentlichung durften die Weißrussen einem der üblichen Wutausbrüche ihres autoritären Staatschefs via Fernsehen beiwohnen. Diese Variante sei wohl ein schlechter Scherz und gehe nicht über Vereinbartes hinaus, polterte Lukaschenko. „Offensichtlich hat Russland es nötig, vor den Wahlen die weißrussische Karte zu spielen. Doch wir werden es niemandem erlauben, so mit unserem Staat umzuspringen“, ließ sich der Präsident vernehmen. Und: „Wird der Vertrag nicht mit Jelzin unterschrieben, habe ich genügend Zeit, das mit jemand anderem zu tun.“

Den Grund für Lukaschenkos Erregung liegt auf der Hand. Denn die Vorschriften postulieren nur das, was, schon besteht: ein – mittelfristig – gemeinsamer Wirtschaftraum sowie eine enge Kooperation in Militärfragen. Was übernationale Institutionen angeht, bleibt der Text so vage wie seine Vorläufer. Als höchstes Organ soll ein Staatsrat ohne Kompetenzen eingerichtet werden, dem die beiden Staats- und Regierungschefs sowie die Vorsitzenden der Parlamente angehören.

Dass der rein repräsentative Staatsrat Lukaschenko nicht ins Konzept passt, verwundert kaum. Er fordert für die Union die Einführung eines Präsidentenpostens samt Stellvertreter. Lukaschenko würde sich mit Hilfe dieser Ämter gerne einen Zugang zum Kreml verschaffen. Doch jetzt dämmert auch ihm, dass diese Rechnung nicht aufgehen dürfte.

Auch für die schwindende Vereinigungseuphorie auf russischer Seite gibt es handfeste Gründe. Bislang noch machten in Moskau Szenarien die Runde, Jelzin würde, wie Miloševic, der vom serbischen auf den jugoslawischen Präsidentensessel wechselte, das neue Staatsgebilde dazu benutzen, seine Amtszeit zu verlängern. „Doch das wäre derzeit nicht durchsetzbar. Daher ist es logisch, dass Jelzin das Interesse an einer wirklichen Vereinigung verloren hat“, sagt der Politwissenschaftler Andrej Piontkowski vom Zentrum für strategische Studien in Moskau.

Auch die Aussicht, sich einen bankrotten Staat ans Bein zu binden, lässt die liberalen Kräfte in Moskau auf Distanz gehen. So verkündete der Chef der Liberalen Partei Jabloko, Grigori Jawlinski, unlängst, Lukaschenko müsse endlich beigebracht werden, entsprechend den vorhandenen Mitteln zu leben, und Russland könne es sich nicht leisten, seinen Verbündeten zu unterstützen. Wie zur Bestätigung Jawlinskis protestieren kürzlich 10.000 Menschen in Minsk gegen Preiserhöhungen, sinkende Löhne und die Verletzung der Rechte der Gewerkschaften. Was Lukaschenko zu dem Kommentar veranlasste: „Wenn die Arbeiter unglücklich sind, müssen sie sich an die eigene Nase fassen. Man lebt eben nur so gut, wie man arbeitet.“

Doch nicht nur die weißrussischen Gewerkschaften leiden unter ständigen Rechtsverletzungen. Nach Prügeln, Geldstrafen und willkürlichen Verhaftungen bedient sich das Lukaschenko-Regime seit neuestem anderer perfider Methoden, um Kritiker mundtot zu machen. So kehrte Viktor Gontschar, Sprecher der Opposition und einer der schärfsten Widersacher Lukaschenkos, Mitte September vom Besuch eines Badehauses nicht zurück. Seidem fehlt von ihm jede Spur. Gontschars Frau berichtete, dass sie an der Stelle, wo ihr Mann sein Auto geparkt hatte, Blut und Glasscherben gefunden habe. Doch Gontschars Fall ist nicht der einzige dieser Art. Mit der ehemaligen Chefin der weißrussischen Nationalbank, Tamara Winikowa, und dem Ex-Minister für Inneres, Juri Sacharenko, verschwanden vor Monaten zwei andere Gegenspieler Lukaschenkos auf mysteriöse Weise.

Gleichzeitig geht der Terror gegen die wenigen unabhängigen Medien weiter. So wurde gegen die Zeitung Nawiny wegen eines kritischen Artikels über eine Regierungsmitglied eine Geldstrafe von 60.000 Mark verhängt und der Autor des Beitrages zur Zahlung von rund 30.000 Mark verurteilt. Das Blatt musste schließen und versucht unter dem Namen „Nascha Swoboda“ (Unsere Freiheit) wieder zu erscheinen.

Dass das Regime weiter brutal gegen seine Kritiker vorgehen wird, bezweifeln die Oppositionellen nicht. „Das wird ein heißer Herbst“, sagt die stellvertretende Chefredakteurin von Nawiny, Ekaterina Wysotskaja. Es mutet umso zynischer an, dass sich beide Staaten im Vertragsentwurf auch den Menschenrechten verpflichten. „Das wird hier immer schlimmer“, sagt die Rechtsanwältin Wera Stremkowskaja, die mehrfach Oppositionelle verteidigt hat. Derzeit läuft gegen sie ein Verfahren verbunden mit der Drohung, ihr die Anwaltszulassung zu entziehen. „Ich gebe nicht auf“, sagt Stremkowsjaka, „doch ich habe Angst. Vor allem um mein Kind.“