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Dance away the Überbau

■ Körper an Sprache: „Bitte nicht zutexten!“. Die Tanzfabrik hat zehn junge ChoreographInnen zu einer Gastspielreihe eingeladen

Der Tanz fließt zwischen die Worte und lässt sie auf seinen Wellen schaukeln wie Papierschiffchen

Farben, Bilder, Sprache: Fast für alles sind die Strukturen des Gedächtnisses besser ausgeprägt als für Bewegung. Aus der Spannung zwischen der Wiederholung und dem Unberechenbaren hat der junge Choreograph Thomas Plischke seine Soli gebaut, die er am Wochenende in der Tanzfabrik vorstellte. Fünfmal lässt er Alice Chauchat eine Phrase tanzen, und immer wieder entgleiten uns die fließenden Passagen zwischen den harten Kicks und abrupten Stopps, die den Tanz wie Satzzeichen gliedern.

Wiederholung beschäftigt Plischke, der am Mousonturm in Frankfurt engagiert ist, vor allem als Mittel der Disziplinierung des Körpers. Mit Nicken und Kopfschütteln spielt er in den beiden von ihm selbst interpretierten Stücken das Aufeinandertreffen widersprüchlicher Identitätsmuster im Körper durch. Vor allem im „l'homme A SORTIR AVEC son corps“ geht er dabei bis an einer Grenze wahnhafter Zuspitzung, zwischen übereifriger Anpassung, Entgleisung und Selbstbestrafung. Zu Klangfetzen aus Beethovens Eroica und Volksfeststimmung marschiert er, grinst wie ein Kind und reißt den rechten Arm hoch; doch bevor man noch entscheiden kann, ob dies eine Persiflage auf den Hitlergruß ist, bricht die Spannung zusammen, knallt er mit der Hand und dem nackten Oberkörper auf einen Metalltisch. Der Tanz spuckt den an der Unterwerfung Zerbrochenen wieder aus.

Mit einem Monolog von Antonin Artaud in französischer Sprache zog Plischke dem Stück dabei eine zusätzliche Ebene ein. Dieses Einspielen eines intellektuellen Überbaus, das oft die sprachlichen Kompetenzen des Tanzpublikums überschätzt, ist en vogue in der Tanzszene und signalisiert die Suche nach einem konzeptuellen Zugang.

Wie der Körper sich dagegen wehrt, zugetextet und mit Bildern attackiert zu werden, beschäftigt auch Anja Hempel und Andreas Müller, die am nächsten Wochenende die Reihe „Tanz im Studio 1“ fortsetzen.

Zehn Choreographen sind an dem Programm beteiligt, mit dem die Tanzfabrik zweimal im Jahr kleinen Produktionen eine Plattform bietet. Die dichte Vernetzung zwischen Schule, Proben- und Aufführungsort sorgt für ein nachwachsendes Publikum. „Da muss man nicht immer die gleichen Maßstäbe anlegen wie bei Compagnien, die schon mehrere Stücke gemacht haben“, beschreibt Claudia Feest, die das Projekt leitet.

Schwindlig wird Anja Hempel, wenn sie die verbleibenden Tage bis zur Aufführung am kommenden Freitag zählt. Besonders das Corps der Freunde, die am Ende von den beiden Tänzerinnen für ein Menuett auf die Bühne eingeladen werden, macht ihr noch Kopfzerbrechen. Aber ihr Konzept leuchet ein. Den Ausgangspunkt bildet ein englischer Text, den sie über Muster der Selbstinszenierung und zwanghaften Individualimus geschrieben hat. Er wird zelebriert und zerlegt in die zierlichen Einheiten einer barocken Musik, die den bombastischen Formeln ihr Gewicht nimmt. Der Tanz fließt als spielerische Kommunikationsform zwischen die Worte und lässt sie auf seinen Wellen schaukeln wie Papierschiffchen. Über das Regelmaß der Musik von Bach fegen elektronische Gewitter der Einstürzenden Neubauten und verwischen die Dynamik der abgezirkelten Schritte.

Mit Monologen beginnt und endet auch „Die Mondlandung“ von Andreas Müller, der für sein Changieren zwischen sprachlicher Rolle und physischem Sein den Begriff „Physisches Kabarett“ gewählt hat. Seine „Raumfähre“ macht noch Probleme: Der dreibeinige Stuhl, an dem er ein angstbesetztes Verhältnis zur Technik durchspielt, quietscht nicht, wie er sollte. Müller kriecht mit ihm rückwärts, schiebt mit Füßen und Kopf, bis man sich fragt, wer hier wen steuert. Noch ist nicht sicher, ob die Komik und Leichtigkeit des Anfangs bis zum Ende trägt, an dem der Performer einen Sack voller Sinnfragen aufmacht und unter das Publikum streut.

Katrin Bettina Müller ‚/B‘ „Tanz im Studio 1“, im Oktober freitags bis sonntags, Tanzfabrik Berlin, Möckernstr. 68

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