Karneval für Gerechtigkeit

■ In Santiago und Madrid feierten gestern die Gegner von Chiles Ex-Diktator Pinochet den ersten Jahrestag seiner Verhaftung

Santiago/Berlin (AP/AFP/taz) – „Es ist Karneval, der Verbrecher sitzt im Gefängnis“, schallte es gestern rhythmisch durch die Alameda, die Hauptstraße Santiagos. Rund 4.000 Gegner des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet zogen gestern feiernd durch die Hauptstadt Chiles. Sie begingen den ersten Jahrestag der Verhaftung des Generals und Senators auf Lebenszeit in London. Der Marsch unter dem Motto „Karneval für die Gerechtigkeit“, zu dem Linksparteien und Menschenrechtsorganisationen aufgerufen hatten, wurde von einem Käfig angeführt, in dem eine Pinochet-Puppe saß. Die Autofahrer reagierten mit einem Hupkonzert, als die Demonstration am Präsidentenpalast La Moneda vorbeizog, den Pinochet während seines Staatsstreiches 1973 gegen Salvador Allende bombardieren ließ.

Wenige Straßen weiter begingen die Anhänger des Diktators den Jahrestag auf ihre Art. Einem Aufruf der Pinochet-Stiftung folgend versammelten sich mehrere hundert Menschen zu einer katholischen Messe, um für die Rückkehr ihres Idols zu beten. „Ein Jahr ist vergangen, und wir konnten unseren General noch immer nicht nach Hause holen“, sandte der Direktor der Stiftung, Luis Cortes Villa, sein Stoßgebet gen Himmel. Der Chef der rechten Nationalen Erneuerungspartei, Alberto Cardemil, sagte, er befürchte neue Gewalt, Konflikte und schlechte Situationen für Chile.

Er sollte zumindest für den gestrigen Tag Recht behalten. Etwa hundert Pinochet-Gläubige lieferten sich im Anschluss an die Messe Straßenschlachten mit der Polizei. Sie versuchten, zu den Botschaften Großbritanniens und Spaniens vorzudringen. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein und nahm mehrere Pro-Pinochet-Demonstranten fest.

Der 83-Jährige war am 16. Oktober 1998 in London aufgrund eines Haftbefehls des spanischen Ermittlungsrichters Baltazar Garzón verhaftet worden. Erst vor etwas mehr als einer Woche hatte ein Londoner Gericht eine Auslieferung Pinochets befürwortet. Seine Anwälte haben noch bis zum kommenden Wochenende Zeit, um gegen diese Entscheidung Widerspruch einzulegen. Das Verfahren könnte sich dann weitere zwei Jahre hinziehen. Am Ende hat dann der britische Innenminister Jack Straw das letzte Wort.

An ihn richtete sich Ende letzter Woche Chile in einer formellen Note, um um die Freilassung des Generals zu ersuchen. Begründet wurde dies mit dem schlechten Gesundheitszustand Pinochets.

Dessen ungeachtet zogen gestern rund 300 Menschen vor die Villa in einem Londoner Vorort, in der Pinochet unter Hausarrest lebt. Sie brachten dem Ex-Diktator ein Ständchen, um ihm zu einem Jahr Haft zu gratulieren.

Auch in Madrid wurde gefeiert. Dort herrschte Vorfreude auf ein mögliches Verfahren gegen den Diktator in Spanien, unter dessen Herrschaft über 3.000 Demokraten ums Leben kamen. Angehörige der Opfer und Mitglieder örtlicher Solidaritätsgruppen versammelten sich auf dem Platz Colón in der Innenstadt. Bei Musik und Tanz verspeisten sie eine überdimensionale Torte in Form eines Gefängnisses. rw