■ Nebensache aus Comiso
: Das Dorf der tausend Gespenster

Bis in die 70er-Jahre kannten nur eingefleischte Archäologie-Fans den Ortsnamen. Sie besuchten gerne die Tempelmosaiken aus dem 3. Jahrhundert nach Christus. Doch dann, mit einem Mal, stand er für das Schreckgespenst der 80er-Jahre schlechthin: Comiso, damals 26.000 Einwohner, wurde von der italienischen Regierung als Base für die im Rahmen der Nato-Nachrüstung aufzustellenden Cruise-missile-Marschflugkörper ausersehen.

Das ist lange her. Die 1981 trotz massiver Bürgerproteste installierten Raketen wurden Ende der 80er-Jahre nach dem Abschluss der Abrüstungspakte wieder abgezogen. Doch nun scheinen die Gespenster der Vergangenheit wieder da.

Seit einigen Tagen beobachten die Einwohner von Comiso nachts auf dem Terrain der ehemaligen Base Autoscheinwerfer und überall herumstreifende Gestalten mit großen Geländekarten in den Händen: Sie inspizieren das ein oder andere Gebäude.

Dass Comiso sich bis heute für tausenderlei Gerüchte eignet, ist nicht neu: Nach dem Abzug der Amerikaner aus dem mehr als 200 Hektar großen Areal, als Pazifisten ein Friedensdorf mit Kalte-Krieg-Museum aus der Base machen wollten, raunte man, die Mafia werde das verhindern, weil sie die schmucken Offizierswohnungen und das riesige Gelände als Touristenanlage an sich bringen wollten. Das Friedensdorf kam nicht zustande.

Nach Beginn des Kosovo-Krieges wurden 6.000 Flüchtlinge in die noch bestens instand gehaltenen 625 Reihenhäuer eingewiesen, hunderte von Containern mit Hilfsgütern wurden abgeladen – nun flüsterte man sich bald allerhand Wüstes über das feine Leben der „Balkanleute“ zu. Von großen Bordellen und einem florierenden Schwarzmarkt war die Rede. Dann, als im Juli die letzten Kosovaren abgeschoben wurden, kamen neue Gerüchte auf – 130 Container mit nicht ausgegebenen Lebensmitteln und Kleidungsstücken sollte man einfach in Comiso vergessen haben. Und wieder beobachteten die Leute aus Comiso nächtens düstere Gestalten, die Container aufbrachen und kistenweise Zeug wegschleppten.

Dennoch: All das war zwar ärgerlich und zeugte von administrativer Korruption und Desorganisation. Nun aber, mit den neuen nächtlichen Phantomen, geht plötzlich tiefe Angst um: Da die Besucher sich vor allem auf jenem Teil des Gebietes bewegen, das immer noch den Amerikanern gehört und man einige Unioformierte beobachtet haben will, verbreitet sich flugs die Kunde, nach der Ablehnung des letzten Abrüstungsvertrages im amerikanischen Senat wollten die US-Generäle sofort wieder die alten Basen instand setzen.

Und die Angst scheint gerechtfertigt. Denn statt, wie bisher, derlei auch früher schon mal aufgekommene Gerüchte einfach als „Unsinn“ zurückzuweisen, wollen Bürger aus Comiso bei der amerikanischen Botschaft in Rom auf Anfrage nur noch ein knappes „No comment“ gehört haben. Klagend und verzweifelt hat sich inzwischen auch schon ein Sprayer auf den Weg gemacht: „Nein, bitte nicht schon wieder“, hat er an die Wand gemalt. Werner Raith