Zweierlei Scheitern

■ Toni Morrison liest heute im Thalia Theater aus ihrem Roman „Paradies“

Manche müssen nicht jahrelang auf den Nobelpreis warten und sind auch nach der Verleihung noch nicht zu alt, um etwas Neues zu produzieren. Toni Morrison war 60, als sie 1993 als erste schwarze amerikanische Frau vom Stockholmer Komitee geehrt wurde. Dass ihre Bücher sich aber nicht nur wegen des Pulitzer- und des Nobelpreises, sondern auch durch Oprah Winfrey, der afroamerikanischen Königin des daily talk, millionenfach verkauften, hat sie überrascht: „Wer würde schon ein Buch wegen der Oprah-Fernsehshow kaufen?“

Dergleichen Weltfremdheit ist ihrem neuen Roman rein gar nicht anzumerken. Paradies schließt die 1987 mit Menschenkind begonnene und 1992 mit Jazz fortgesetzte Trilogie über afroamerikanische Geschichte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ab. Erzählt wird von zwei Schutzgemeinschaften: der schwarzen Kleinstadt Ruby, von den Nachfahren befreiter Sklaven gegründet, und des benachbarten ehemaligen Klosters, in dem fünf Frauen Zuflucht gesucht haben. Nach einem Jahrzehnt friedlicher Koexistenz kommt es zur Katastrophe, weil die Einwohner von Ruby die „Hexen“ im Kloster für das gehäufte Unheil verantwortlich machen, das in ihrer Stadt auftritt.

„Das weiße Mädchen erschießen sie zuerst.“ Mit diesem Satz beginnt Paradies, und von dort aus entspinnen sich die Geschichten der Frauen aus dem Kloster und die der Stadt Ruby. Aus unterschiedlichen Perspektiven, auf verschiedenen Zeitebenen und in Morrisons einzigartiger Mischung aus Poesie und Banalität erzählt, ergibt sich das Bild zweier gescheiterter Paradies-Entwürfe. In Paradies findet sich aber nicht nur das Zeitgeflecht aus Erinnerungen, aktuellem Erleben und Zukunftsahnungen wieder, das bereits die beiden Vorgänger zu historischen Romanen im besten Sinne gemacht hat. Auch Morrisons Themen, obsessive Liebe, Mutter-Tochter-Beziehungen und die Sehnsucht nach dem unmöglichen Schutz vor der bösen Welt, sind hier abermals präsent. Und am Ende ist klar, dass jegliche Vorstellung vom Paradies etwas Exklusives ist: Irgendjemand muss immer draußen bleiben. Georg Felix Harsch

heute, 20 Uhr, Thalia Theater; Toni Morrison: „Paradies“. Roman. Rowohlt, Reinbek 1999, 495 Seiten, 45 Mark