Institution ohne Referenzrahmen

Die Verjüngung der Kammerspiele beginnt mit einem Stück über das Altersheim und den Entertainment-Faktor Sterbehilfe: Lore Stefanek inszeniert „King Kongs Töchter“ von Theresia Walser  ■   Von Christiane Kühl

Der Vorteil des kräftigen Durchlüftens ist gleichzeitig sein Nachteil: Auf einmal riecht man den Gestank. Werden Tür und Fenster geschlossen gehalten, fällt einem kurioserweise nicht auf, dass man langsam, aber sicher versauert.

Berta, Carla und Meggie wird das nicht passieren. Die drei sind jung, alt werden scheidet für sie aus ästhetischen Gründen aus. Diese Mädels, die für die Flughäfenlobbys dieser Welt und Sex der extravagantesten Sorte geboren wurden, arbeiten zwar in einem Altersheim, gegen Betriebsblindheit haben sie allerdings ein Rezept: durchlüften. Durchlüften heißt für Berta, Carla und Meggie, einen ihrer stinkenden, bettnässenden Patienten ins Jenseits zu schicken. Das ist für die Jungen befreiend und für die Alten auch nicht schlecht, schließlich werden sie in ihrer letzten Nacht noch einmal so hergerichtet, wie sie in ihrem langen, langweiligen Leben nie waren. Als Clark Gable auf der Badematte etwa oder Mae West auf rotem Sofa mit Blinklichterkette. Das Motto: Sterben und sich selbst noch ähnlich sein, das ist zu viel verlangt. „Der Tod ist ein Termin“, bemerkt Berta, „und wir die Chefdisponentinnen“, ergänzt Carla. Und Meggie, etwas blumiger: „Stewardessen der letzten Reise“.

Für das Stück „King Kongs Töchter“, vor einem Jahr am Theater Neumarkt in Zürich uraufgeführt, wurde die 1967 in Friedrichshafen geborene Theresia Walser von deutschen Kritikern in der Zeitschrift „Theater heute“ zur Dramatikerin des Jahres gewählt. Mit demselben Stück eröffeten Stefan Otteni und Martin Baucks, mit Beginn dieser Spielzeit künstlerische Leiter der Kammerspiele des Deutschen Theaters, jetzt ihren Spielplan. Mit der Inszenierung betrauten die beiden jungen und zur Verjüngung des Hauses eingekauften Regisseure überraschenderweise eine Beinahe-Altmeisterin ihres Fachs: Lore Stefanek.

Stefanek beginnt den Abend mit der nötigen Portion Kunstlicht. Auf dem weitläufigen Heimbalkon hängen die Pflegerinnen in grau glitzernden Köstümen im Rohlstuhl ab und maulen überzogen über eine Menge Dinge des Lebens. Das meinen sie offensichtlich sehr ernst – und dieser Ernst ist entscheidend, weil er klarstellt, dass es sich bei aller Komik des Dialogs über Hollywood-inspirierte Altenentsorgung nicht um eine Groteske handelt. Die Frauen (Claudia Hübbecker, Valerie Koch, Simone von Zglinicki) inszenieren Morde, damit das Leben zumindest punktuell mit ihren Träumen in Berührung kommt. Seniorenpflege scheint ihnen sinnlose Altfleischverwahrung, und außerhalb der Institution haben sie sowieso keinen Referenzrahmen mehr.

Franz Lehrs Bühne öffnet sich in einen Speise- und Aufenthaltsraum mit dem Charme einer blechernen Sammelumkleidekabine. Die sechs Alten darin haben alle mindestens eine freundliche Macke, die äußerst komisch zu betrachten ist und gleichzeitig klarstellt, dass Altenheime, rein unter dem Entertainment-Faktor betrachtet, nicht länger als einen Abend stehen sollten.

Auf der Bühne muss man die hilflose Komik im Intrigenreigen allerdings auch nicht länger als 60 Minuten anschauen, wenn nicht Abstraktion und Wandlung einsetzen. Und so stark die Inszenierung des cleveren und rhythmisch ausgefeilten Textes beginnt, lässt ihre Faszination nach einer Stunde steten Wechsels zwischen ungewollt lustig und ignorant sadistisch nach, weil sie einem merkwürdigem Lustspielrealismus verhaftet bleibt. Statt ins Surreale zu kippen oder ernsthaft grausam zu werden oder auf irgendeine andere Weise zu überraschen, plätschert das Geschehen vor sich hin und nähert sich immer mehr der Klamotte. Was verdammt schade ist, weil die drei selbsternannten Göttinnen in den „Todesengeln“ von Wien und Wuppertal erschreckend reale und populäre Vorlagen haben. „Sterben ist klein genug, da darf man ruhig übertreiben“, lautet ihr Ansatz. Mut zur erschreckenden, nicht im Lachen versöhnenden Übertreibung hätte auch der Eröffnungsinszenierung der neuen Kammerspiele gut getan. Nächste Aufführungen: heute, 25., 26., 27. 10., 19.30 Uhr, Kammerspiele, Schumannstraße 13 a