Ein Zaun als Lärmschutz, sonst nichts

Jetzt, wo die Roma von Ústi hinter einer Mauer verbannt sind, versuchen die Verantwortlichen, das Problem herunterzuspielen. Der tägliche Terror gegen die ungeliebten Nachbarn geht weiter  ■   Aus Ústi nad Labem Ulrike Braun

Türe zu, sonst zieht's,“ feixen die Bewohner der Maticni-Straße 4 dem Herrn aus dem Europäischen Parlament nach. Jürgen Schröder, EU-Berichterstatter für Tschechien war „nur mal ganz kurz“ und „in guter Absicht“ nach Ústi gekommen. Nicht verurteilen wolle er, sondern sich eine „eigene Meinung“ bilden über den Zaun.

Seit letzten Donnerstag steht er: 62 Meter lang und 1,80 Meter hoch, bepinselt in warmem Braun und Gelb und mit drei Türen. Achtzehn Monate in Planung, gebaut zwischen vier Uhr morgens und halb drei Uhr nachmittags mit Hilfe einer Handvoll Bauarbeiter und eines Aufgebots von über einhundert Polizisten. Der Mann aus Europa ist erleichtert: „Die Berliner Mauer ist es nicht.“

Unbeeindruckt vom Besuch aus Brüssel veranstalten ein paar Kinder weiter hinten einen Sängerwettstreit. „Esmerahaldaaa ...“ kreischen sie vergnügt die Melodie einer beliebten brasilianischen Seifenoper. Als Mikrofon dient ein Stück Ast. „Als die Bauarbeiter den Graben für den Zaun ausgehoben hatten, haben wir uns reingesetzt“, erzählt die 12-jährige Erika. „Da mussten sie aufhören.“ Hinter ihr tanzt der kleine Pavel im Sandkasten. „Wir haben zwei zu eins gewonnen“, trällert er. „Bald steht's drei zu eins, dann vier zu eins ...“. Die Mauer von Ústi als Mischung von Wettkampf und Seifenoper. Erika schaut in Richtung Zaun und rümpft die Nase. „Ist doch schrecklich“, sagt sie, „ist doch für Pferde.“

Vor knapp achtzehn Monaten hat die Stadt Ústi beschlossen, in der Maticni-Straße eine Mauer zu bauen. Ursprünglich sollte sie vier Meter hoch werden. Seitdem ist der Job von Milan Knotek etwas eintöniger gerworden. Der Magistratssprecher muss immer wieder das gleiche vorbeten: Nein, sie seien keine Rassisten und betreiben keine Apartheidspolitik. Außerdem habe die Stadt nicht an ihrem Mauerplan festgehalten, sondern den Zaun als Kompromiss gefunden. „Der Zaun ist ein Lärmschutz, nichts weiter“, betont Knotek. Damit der Steuerzahler in der Maticni schlafen und morgens frisch zur Arbeit gehen könne. Nur, dass der Zaun nicht vor Lärm schützt. Denn ein Zaun hat Öffnungen, sonst wäre er eine Mauer. In der Maticni sind die Öffnungen horizontal, wie in alten Festungen, nur größer und durchgehend.

Eine Frau droht, Hunde auf die Roma zu hetzen

„Vielleicht sollte man mit uns nur noch durch die Lücken im Zaun reden, damit wir uns daran gewöhnen, wie Tiere eingepfercht zu sein“ meint Jozef Lacko lakonisch. Der schmächtige Rom lebt seit sechs Jahren mit seiner sechsköpfigen Familie in der Maticni Nr.4, drei Zimmer, Küche, Gemeinschaftsbad im Keller. Seine Frau Gisela Lacková ist eine imposante Person, die Matrone der Maticni, freundlich, offen, mit einem gehörigen Schuss Ironie. Hartnäckiger Vorurteile der gadzos, der Weißen zum Trotz, steht sie morgens früh auf: „Als ich am Donnerstag morgen, so um halb sieben, aus dem Fenster guckte, kriegte ich einen Riesenschreck. Auf der Straße waren soviel Polizisten, dass man die Bauarbeiter gar nicht gesehen hat“, erzählt sie. Was glotzt du so blöd, habe einer der Polizisten zu ihr hochgerufen. „Ich dachte nur, lass dich jetzt bloß nicht provozieren“, sagt sie.

Provoziert werden Gisela Lacková und ihre Nachbarn genug. Von gegenüber. „Wie oft ich und andere als schwarze Schweine bezeichnet wurden“, sie winkt ab. Die eine drohe immer, ihren Hund auf sie zu hetzen, ein anderer habe schon einmal mit einem Luftgewehr auf ihre Tochter geschossen und ihr einen Blumenkübel hinterhergeschmissen, erzählt Gisela Lacková.

„Wir Tschechen mögen die Roma nicht besonders gerne“, gibt Milan Knotek offen zu. Nicht wegen ihrer Hautfarbe, sondern wegen ihres Verhaltens, ihres sozialen Profils. Weil es anders ist. Roma-Aktivist Petr Jano kennt die Haltung der gadzos gegenüber den Roma: „Die Weissen haben uns Zigeuner immer als etwas Negatives in ihrer Gesellschaft empfunden. Beim Durchschnittstschechen ist das schon Gewohnheit.“

Jano glaubt, dass die Stadtväter von Ústi diese negative Einstellung für ihre eigene Popularität ausnützen. „Dabei übernehmen sie direkt den Wortschatz des Totalitarismus. Sie reden von anständigen und unanständigen Leuten. Die, die sich hier gegen den Zaun engagieren, bezeichnen sie als Kriminelle und Terroristen“, sagt Jano. Neben ihm steht der gadzo und Zaungegner Ladislav Lis und lacht resigniert. Als Dissident und Unterzeichner der Charta 77 wurde er früher oft als Krimineller bezeichnet, saß drei Jahre im Gefängnis. Jetzt kommt er aus dem nahen Ceska Lipa nach Ústi, in die Maticni. „Es wäre doch peinlich, wenn sich jetzt, in der Demokratie, niemand gegen das, was hier geschieht, wehrt“, sagt Lis. So wie er denken nicht viele. Hunderte von Briefen, so Sprecher Knotek, treffen täglich beim Magistrat von Ústi ein. „Leute bieten ihre Hilfe an. Was wir hier machen, entspricht einem gesellschaftlichen Verlangen in dieser Republik.“

Aus dieser Republik will Gisela Lackova am liebsten weg. „Wir haben Angst. Die Polizisten hier haben uns gesagt, dass sie uns nicht helfen werden, wenn die Skins kommen.“ Ihr 17jähriger Sohn Roman unterbricht sie. „Ich würde gerne mal machen, was die anderen auch machen, ausgehen, in Discos und so. Aber ich fürchte mich.“ Einem Freund von ihm wurden „draußen“ vor kurzem die Rippen gebrochen.

Stadtteil-Bürgermeister Pavel Tosovsky steht neben seinem Zaun und sieht etwas verloren aus. Vielleicht liegt es am viel zu großen Jackett, das ihm fast bis in die Kniekehlen hängt. Vielleicht fühlt er sich auf dieser, der anderen, Seite der Maticni auch etwas unwohl. „Sieht doch eigentlich recht hübsch aus, oder?“, meint er und zeigt auf den gelben Zaun: „Jetzt ist das Ganze hier wirklich nur ein Kampf gegen ein Symbol.“