: Einsamer grüner Kampf mit sich selbst
Die Grünen sind verunsichert. Was will unsere Partei?, fragen sich viele Mitglieder. Auch in Hessen, dem einstigen grünen Musterland, als Joschka Fischer dort noch Minister war, ist die Ratlosigkeit groß ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt (taz) – Joschka Fischer als Parteichef? Weg mit der grünen Doppelspitze? Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat? Die Grünen im hessischen Main-Taunus-Kreis haben mit diesen Fragen keine Probleme. Genau genommen ist es ihnen egal, wer aus den Grabenkämpfen in Berlin als Sieger hervorgeht. „Hauptsache, es gibt endlich eine klare Entscheidung“, fordert Albrecht Kündiger, „Hauptsache, es geht wieder vorwärts mit der Partei.“
Kündiger ist Vorsitzender der Kreistagsfraktion und grünes Urgestein in diesem reichen Landkreis im prosperierenden Rhein-Main-Gebiet. Er weiß, wovon er spricht. Obwohl: Die desaströse Landtagswahl im Februar, bei der die Grünen hessenweit mehr als die Hälfte ihrer Wähler verloren, hat die Partei hier noch am besten überstanden.
Mit Blick auf die hessischen Kommunalwahlen im Frühjahr 2001 ist Kündiger skeptisch: Wenn nicht bald etwas passiere an der Spitze der Partei, wenn die Koalition in Berlin etwa den Ausstieg aus der Atomenergie nicht geregelt bekomme, dann werde die Partei „selbst in den besten hessischen Grünlagen baden gehen“. Es sei diesmal nämlich alles noch schlimmer als in der Vergangenheit, meint Kündiger. Viele glauben ihm, er hat schließlich alle Krisen der Partei seit ihrer Gründung miterlebt.
„Früher gab es nach nach jeder Krise die Hoffnung, dass jetzt alles besser wird“, so der Urgrüne, „aber heute weiß doch kein Mensch mehr so genau, mit welcher Politik, mit welchem Programm die Partei aus der Krise kommt.“ Kündiger selbst ist auch ratlos: Geht es mit dem Neoliberalismus von Leuten wie Matthias Berninger oder Margarethe Wolf? Mit der Negierung aller grünen Grundsätze? Oder mit der Rückbesinnung auf eben diese Werte?
Im Main-Taunus-Kreis hat die grüne Kreisversammlung vor drei Wochen jedenfalls entschieden, sich wieder stärker der Ökologie zu widmen und auch die sozialen Fragen nicht länger zu vernachlässigen. Das sei kein Votum gegen die strukturelle und auch programmatische Erneuerung der Partei gewesen, so Kündiger. Aber klar sei auch: Einer grünen FDP wolle hier niemand angehören. „Die Grünen müssen programmatisch unverwechselbar bleiben, sonst werden sie verzichtbar.“
Back to the roots also. Rettet das die Partei? Wie soll das gehen? Vielleicht so: „Es ist zu prüfen, welche Mehrkosten durch eine wöchentliche Leerung des Biomülls in den Sommermonaten entstehen würden, und wie diese Maßnahme ohne Gebührenerhöhung realisiert werden kann.“ Das ist ein Antrag der Grünen im Frankfurter Römer vom 30. September 1999, gezeichnet vom Fraktionsvorsitzenden Lutz Sikorski. Der Mann hat früher mal Weltpolitik gemacht in der Stadt der Banken und des Bembels, der Frankfurter Schule und der Internationalen Automobilausstellung. Schulter an Schulter mit den Helden der 68er-Bewegung und den Vordenkern der grünen Partei hat Sikorski gekämpft, mit Joschka Fischer, Tom Koenigs, Dany Cohn-Bendit und Rupert von Plottnitz. Es gab Zeiten, da haben die grünen Heroen den Sozialdemokraten in der Stadt die Direktmandate bei Landtags- und Bundestagswahlen streitig gemacht. Jetzt kämpft Sikorski einen einsamen Kampf: gegen die Maden in den Biotonnen.
Wen das noch interessiert? Die Leute in den Szenevierteln, vor deren Häusern auch grüne Tonnen stehen und denen die Grünen früher 20 Prozent bei Wahlen wert waren, diese Leute interessiert das nur noch marginal. „Wirklich nett“, sagt einer aus einer alternativen Druckerei im Ökohaus, der im Nordend wohnt. „Aber ist das die andere Politik, die uns die Grünen seit Jahr und Tag versprechen? Die Politik für eine Metropole?“
Zurück zu den Wurzeln – also doch nicht der Königsweg? Wohl nicht in den großen Städten mit der politisierten Kundschaft. Die Biotonne öfter leeren, damit die Maden verschwinden – der Citoyen, der aufgeklärte Bürger, den die Grünen gerade in Frankfurt immer hofierten, nimmt das nur noch schweigend zur Kenntnis.
Auch die Hausbesitzer werden es begrüßen, dass die Stinktöpfe jetzt auf Initiative der Grünen ab Sommer 2000 vielleicht wöchentlich geleert werden – sie wählen aber trotzdem weiter CDU. Mit seinem Antrag lockt Sikorski aber auch keine Jungwähler aus der Techno-Disco. Spätestens seit den Saarlandwahlen wissen auch die Grünen, dass die jungen Leute von heute lieber CDU wählen, wenn deren personelles Angebot stimmt.
Warum das so ist? Die wenigen Jungen bei den Grünen suchen die Schuld bei den Alten. „Kein grüner Jubel über Jutta“, steht über einer Presseerklärung der Grün-Alternativen Jugend Frankfurt und des Kreisverbandes der Grünen Jugend Hessen von Ende September. „Jutta“ ist Jutta Ebeling, ehemals autonome 68er-Frau und in Frankfurt eine lebende Legende. Ebeling ist grüne Schuldezernetin im Magistrat – und nach dem Umzug von Tom Koenigs in das Kosovo die letzte Grüne überhaupt in der CDU/SPD-Stadtregierung. Jetzt wird ausgerechnet sie durch die eigene Parteijugend demontiert. Nur weil Ebeling sagte, was in der Partei ohnehin jeder weiß: „Bei den jungen Grünen zwischen 25 und 35 Jahren drängt sich niemand als Führungsfigur auf.“ Und auch sonst niemand, möchte man hinzufügen.
Die „alten Grünen“ sollten sich lieber häufiger an ihre eigenen Beschlüsse halten, „vor allem in der Bildungspolitik“, giften die Jungen jetzt gegen Ebeling zurück. Die Lehrer seien durch die Erhöhung der Stundenzahlen in Hessen vergrätzt worden – die Schüler und Studenten durch Unterrichtsausfall und überfüllte Hörsäle. Es mangele den Alten und insbesondere der Bildungspolitikerin Ebeling, „an Glaubwürdigkeit“, konstatieren die Jungen. Und Ebeling beklagt, mit Blick auf den Nachwuchsmangel, die personelle Perspektivlosigkeit der Partei. So läuft derzeit der Generationenk(r)ampf in Frankfurt.
Dabei gibt es Ortsgruppen der Grünen, etwa im Landkreis Groß-Gerau, die froh wären, einen Generationskonflikt austragen zu können. Es gibt dort keinen grünen Nachwuchs, und die „Alten“, die teilweise drei Legislaturperioden lang in den Ortsparlamenten und Gemeindevorständen saßen, haben „keinen Bock mehr“. Dazu die Nackenschläge der Bundespartei aus Berlin. Noch ist unklar, ob die Grünen in diversen Kommunen im Landkreis überhaupt noch in der Lage sind, Listen für die nächsten Kommunalwahlen aufzustellen.
Elke Cezanne, Vorstandsmitglied der Kreisgrünen, weiß das. Der Frust gehe um, sagt sie, auch in Städten wie Rüsselsheim oder Mörfelden-Walldorf, in denen die Grünen bei früheren Wahlen immer zweistellige Ergebnisse einfuhren. Bei den letzten Landtagswahlen gab es hier im Flughafenumland schwere Einbrüche. Bis auf eine unermüdlich weiter kämpfende Frau haben etwa in Rüsselsheim alle Gründungsmitglieder der Grünen die Partei verlassen, und mit ihnen alle Bürger, die mit ihrem Namen für die Grünen standen. Das hatte lokalpolitische Ursachen, aber auch parteipolitische. Die liberalen wirtschaftspolitischen Thesen der Bundestagsabgeordneten Margarethe Wolf, deren Wahlkreis Groß-Gerau ist, haben sozial engagierte Grüne schon vor Jahr und Tag vergrault. Der Krieg im Kosovo und der ausbleibende Atomausstieg frustrieren andere. Einige sind bei der PDS gelandet, die meisten jedoch haben sich von der Parteipolitik zurückgezogen.
Das sei schon eine Zäsur, sagt Cezanne. Und schleifen lassen dürfe man die Dinge ganz bestimmt nicht weiter. Der neu gewählte Kreisvorstand setzt auf eine „kommunalpolitische Offensive“ im Landkreis. Die Grünen bräuchten wieder eine „Aufbruchsstimmung“ heißt es, und die bekomme man nur durch eine „programmatische Erneuerung“, so Cezanne. Aber wie soll die aussehen? Eine „programmatische Klammer“ brauche die Partei, eine Klammer, die die bewährten Grundsätzen mit den Thesen der Modernisierer zusammenhalte.
Die Partei, kündigt die grüne Vorstandsfrau an, werde sich im Kreis Groß-Gerau wieder verstärkt um den Natur- und Umweltschutz kümmern. Sie müsse sich aber auch mit einer modernen Steuer- und Rentenpolitik profilieren, ohne dabei den Gedanken der sozialen Gerechtigkeit zu vernachlässigen.
Elke Cezanne, die auch Pressesprecherin der hessischen Landtagsfraktion ihrer Partei ist, weiß aber auch, daß die Grünen „nie eine Partei der kleinen Leute“ waren. „Hilfe zur Selbsthilfe“, das müsse wieder das soziale Credo der Grünen werden. Schließlich seien auch die Bürgerinitiativen eine Art „Selbsthilfebewegung“ gewesen. Und die Grünen seien aus diesem Milieu entstanden. Also doch back to the roots? „Ja und nein“, sagt Cezanne. Das eine tun, aber das andere nicht lassen – das sei ihr Credo.
Das würde wahrscheinlich jeder bei den Grünen unterschreiben.
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