■  Bevor die EU neue Mitglieder aufnehmen kann, muss sie sich selbst reformieren. Jetzt hat eine Kommission erste Vorschläge präsentiert. Der Streit darüber hat schon begonnen
: Fit fürs 21. Jahrhundert

Keine sechs Monate ist der Vertrag von Amsterdam in Kraft, da wird in Brüssel schon wieder die Reform der Reform diskutiert. Vor zwei Monaten hatte Kommissionspräsident Romano Prodi drei ältere Herren mit Regierungserfahrung beauftragt, Vorschläge für eine entsprechende Konferenz im kommenden Jahr vorzulegen. Das Brain-Storminig von Jean-Luc Dehaene, Richard von Weizsäcker und Lord Simon of Highbury ist als Diskussionsgrundlage gedacht. Es hat für die Regierungschefs keine bindende Wirkung.

Dennoch liest sich das Papier der „Drei Weisen“ wie der Kompromiss nach einer langen und zähen EU-Gipfelnacht. Fragen, die politischen Zündstoff enthalten, werden allenfalls angedeutet, kühne Lösungsvorschläge gibt es nicht: Wie viele Kommissare sollen ein Europa der Zwanzig oder Dreißig verwalten? „Aus verständlichen Gründen akzeptieren die meisten Mitgliedstaaten die Perspektive einer Kommission, in der ihr Land nicht vertreten wäre, nicht.“ Neugewichtung der Stimmen im Rat? „Es handelt sich hierbei um ein politisch und symbolisch wichtiges Problem, doch meint die Gruppe, dass es nicht ihr Auftrag war, hierzu spezielle Vorschläge zu unterbreiten.“

Das Papier leistet kaum mehr als eine Zusammenfassung dessen, was EU-Praktiker sowieso seit langem fordern. Dennoch kam schon im Vorfeld, als erste Details durchsickerten, Protestgeschrei aus London, wo man vorsorglich gegen den nun zu erwartenden „europäischen Superstaat“ Einspruch einlegte.

Da sich die EU darauf festgelegt hat, bis 2002 die Voraussetzungen für die Osterweiterung zu schaffen, ergeben sich mehrere strukturelle Änderungen von selbst. Klar ist, dass in einem größeren Kreis wesentlich mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden müssen. Bislang gibt es dieses Verfahren nur für die so genannte erste Säule der klassischen Gemeinschaftsaufgaben: Binnenmarkt, Verkehr, Umwelt, Handel, Agrarpolitik, Finanzen. Einzige Ausnahme: In der Steuerpolitik muss noch immer einstimmig entschieden werden.

Auch in der „zweiten Säule“ – gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – wird bislang Einstimmigkeit verlangt. Die meisten Fragen fallen ohnehin in die Kompetenz der Einzelstaaten. Einen eigenen Abschnitt widmet das Papier dem Thema Verteidigung. „So sollte der Rat die Möglichkeit haben, Beschlüsse über die gesamte Palette der Konfliktverhütung und der Krisenbewältigung zu fassen.“ Hierzu müsse die Union auch glaubwürdiges militärisches Potential besitzen. Die Westeuropäische Verteidigungsunion solle in die EU einbezogen werden.

Parallel zur Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit müssten die Entscheidungsmöglichkeiten des Parlamentes ausgeweitet werden. Bei allen legislativen Angelegenheiten der ersten Säule solle die Zustimmung des Parlaments nötig werden. Diese Änderung würde sich vor allem auf den Agrarbereich auswirken. In diesem Kernbereich der Gemeinschaftspolitik werden noch immer fast fünfzig Prozent der EU-Mittel ausgegeben, das Parlament aber hat dabei nichts mitzureden. Gestärkt werden soll aber auch die Macht der Kommission: Dem Präsidenten wird eine Organisations-, Koordinierungs- und Richtlinienkompetenz zugestanden.

Der Bericht weist darauf hin, dass eine erweiterte Union nicht nur die Kommission aufbläht, sondern auch den Europäischen Gerichtshof, den Rechnungshof und den Ausschuss der Regionen. Damit wird indirekt eingeräumt, dass in Zukunft eben doch nicht jedes kleine Land damit rechnen kann, in jedes Gremium einen eigenen Vertreter zu entsenden.

Den einzig kühnen Vorschlag versteckt das Papier unter der drögen Überschrift „Neugestaltung der Vertragstexte“. Um die für den Bürger zunehmend unübersichtliche Reihe der Änderungen zu durchbrechen, sollen die Verträge künftig in zwei Teile aufgespalten werden: Einen Grundlagenvertrag, der die politischen Leitlinien, den institutionellen Rahmen und die Bürgerrechte enthält. Und getrennte Texte über die geltenden Bestimmungen, die fortlaufend geändert werden könnten.

„Das liest sich für mich wie die Forderung nach einer Europäischen Verfassung“, so die erste Reaktion des EU-Parlamentariers Elmar Brok. Das Europaparlament fordert schon lange eine Grundrechtscharta für Europa, die über unverbindliche Leerformeln hinausgehen soll. Einigkeit wird darüber bis Ende nächsten Jahres. dem geplanten Ende der Reform, kaum erzielt werden.

Daniela Weingärtner, Brüssel