Einmal in der Kutte des Paters

■  Ist der Hoenig gut als Mönch? Manchmal ist's nur der supramediale Ensembleeindruck, der ein Küchenpsychodrama wie „Tödliche Schatten“ interessant macht (20.15 Uhr, ARD)

ber die Jahre hinweg ist ein universelles TV-Personal entstanden, das mal diese, mal jene Rolle übernimmt

Die schönsten Geschichten schreibt ja nicht wirklich das Leben.

So manches gute Fernsehspiel ist dramatisch derart verdichtet, dass niemand ernstlich glauben kann, so etwas trage sich in unserer Nachbarschaft tatsächlich zu. Schon gar nicht, wenn herrschaftliche Villen mit Hans Michael Rehberg als Hausherr und kleine Jungen im Matrosenanzug darin vorkommen. Wenn aber schon die Realität außen vor bleiben muss, so sollte doch wenigstens sonst alles stimmen: die innenliegende Zwangsläufigkeit einer unterhörten Begebenheit möcht's dann schon sein.

Bei „Tödliche Schatten“ stimmt kaum etwas, obgleich alles Tun hinlänglich logisch hergeleitet wird: Die beiden Halbstarken Stephan und Heinz sind dicke Freunde, auch wenn der eine aus gutem Haus und der andere nur ein armes Bürschlein aus dem gleichen Dorf ist. Arglos spielen sie Heinz' kleinem Bruder einen Streich, sperren ihn auf dem Dachboden ein, wo der Junge bei einem waghalsigen Befreiungsversuch tödlich verunglückt. Stephan macht sich aus dem Staub, Heinz wird von seinem despotischen Vater ob dieser Tat für immer verflucht ...

Dreißig Jahre später ist Heinz (Stephan Kurt) ein menschliches Wrack und Stephan (Heinz Hoenig) ein Mönch geworden. Bei ihrem zufälligen Wiedersehen kommen auf beiden Seiten unweigerlich alte Schuldgefühle wieder hoch, ein weiterer junger Mensch verliert in diesem Tumult der verdrängten Gefühle sein Leben – und Drehbuchautor und Regisseur Diethard Klante den Überblick, was er uns da eigentlich erzählen möchte.

„Tödliche Schatten“ hat nicht wirklich die erzählerischen Qualitäten eines Psychodrama, als das es von der ARD belabelt wird. Denn das Trauma, das hier mit naheliegenden Bildern heraufbeschworen wird, könnte wohl heutzutage jeder Küchenpsychologe auflösen. Auch die Unterdrükkung des despotischen Vaters wirkt am Ende des Freud-Jahrhunderts recht antiquiert.

Bleibt das Duell der namhaften Schauspieler: Haudegen Heinz Hoenig einmal in der Kutte des sanften Paters zu zeigen – das mag ein Motiv gewesen sein für diesen erzählerischen Unsinn. Auch Stephan Kurt als gehetzter Wirrkopf und Hans Michael Rehberg als sein hartherziger Vater sind immer wieder schön anzusehen.

Solche außerhalb der eigentlichen Geschichte liegenden Zuschauer-Interessen beziehen sich freilich nicht mehr auf das Einzelstück, sondern nur noch darauf, dass über die Jahre hinweg ein universelles TV-Personal entstanden ist, das hier mal diese, dort mal jene Rolle übernimmt. Ist der eine heute gegen seinen Typ besetzt, wird er morgen schon auf einem anderen Kanal seine Aura wieder zurechtrücken.

So entsteht irgendwann ein supramedialer Ensembleeindruck über alle Sender und Programmkonzepte hinweg, der den Zuschauer zu einem ganz eigenen komperatistischen Spiel einlädt. Ist Hoenig ein guter Mönch? Wollen wir schon wieder Imogen Kogge als verzweifelte Krankenschwester sehen? Sollen wir Hans Michael Rehberg endlich aus seiner TV-Villa befreien? In einem solchen, höchst artifiziellen Kontext hat dann sogar „Tödliche Schatten“ wieder seine Qualitäten.

Klaudia Brunst