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Die Schüngelbergsiedlung

Die Heinrichs haben ein neues Bad, die Zeche hinterm Haus gilt nun als Kunst. Ist das nun der Strukturwandel im Ruhrgebiet?  ■   Von Judith Weber (Text) und Andreas Teichmann (Fotos)

In der Sackgasse, in der Christa Heinrich ihr Leben verbracht hat, ist ein Häuschen so grau wie das andere, und für Autos ist die Straße fast zu schmal: Der armenische Ministerpräsident musste seinen Wagen halb auf dem Gehsteig parken. Dann saß er da, auf der grau-lilanen Couch im Wohnzimmer, umrahmt von Kunstblumen und beäugt von den Tongänsen und Porzellanschweinen auf der Fensterbank. Und Christa Heinrich wusste nicht, was sie sagen sollte zu „diesem vornehmen Mann“, der „wie ein englischer Lord aussah“. Mit so einem, sagt sie, „muss man erst mal reden lernen“.

Christa Heinrich war nervös, daran änderte auch der Cognac nichts, den der Herr Ministerpräsident mitgebracht hatte. Also tat die 65-Jährige, was sie immer tut, wenn Gäste kommen: den Tisch herrichten und Kaffee brühen. Ihr Mann Werner versteckte seine Unsicherheit hinter Ortskenntnis und machte mit dem prominenten Besuch „die Runde“ durch die Bergarbeiterkolonie. Das ist schon ein paar Jahre her, und mittlerweile haben sich die Heinrichs an ihr Leben im Museum gewöhnt. Daran, dass die Zeche hinter dem Haus nachts nicht mehr bollert und brummt. Daran, dass viele Nachbarn weggezogen sind. Und dass statt der Freunde aus dem Kaninchenzüchterverein nun in- und ausländische PolitikerInnen, ArchitektInnen oder JournalistInnen auf ihrem Sofa sitzen und Kaffee aus Bechern mit Goldrand und Zechen-Aufdruck trinken.

Im Großen und Ganzen betrachtet keine gute Entwicklung. Im Kleinen schon.

Die PolitikerInnen haben sich gekümmert um die Schüngelbergsiedlung am Rand von Gelsenkirchen. Die ArchitektInnen bauten die Häuschen um und renovierten: Die Heinrichs haben nun ein Bad, wo früher keines war, und die Fassade ist grau gestrichen statt einfach schmutzig. Die JournalistInnen lobten das Ganze als Projekt der „Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park“, die vor zehn Jahren begann und Anfang Oktober endete. Mehr als tausend ArchitektInnen, Stadt- und LandschaftsplanerInnen haben sich an der von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen ausgerufenen IBA beteiligt. Ihr Auftrag: das Ruhrgebiet, diese Altlast der Industrialisierung, umzugestalten und der verrußten Region das Gesicht zu waschen. Zechen, Hochöfen und Fördertürme wurden zu Industriedenkmälern, ehemalige Stahlwerke zu Gewerbeflächen. Insgesamt hundert Projekte in 17 Städten. Kosten: fünf Milliarden Mark, gezahlt vom Land, der EU und privaten Investoren.

Das Geld war gut angelegt, findet Achim Dahlheimer, stellvertretender Geschäftsführer der IBA-Gesellschaft. „Ganz sicher haben wir eine Menge zur Imageverbesserung beigetragen.“ Allein in den vergangenen Monaten hätten mehr Medien über das Ruhrgebiet berichtet als zur Zeit der Bergarbeiterproteste. Im Duisburger Landschaftspark Nord sitzen StudentInnen abends auf bunt angeleuchteten Hochöfen und trinken Wein. Freeclimber kraxeln die alten Schornsteine hoch, und Musiker geben Konzerte zwischen den ruppigen Bauten. Selbst für die Kokerei Zollverein in Essen hatte man eine Idee. Die weltweit größte Anlage, in der täglich 10.000 Tonnen Kohle zu Koks wurden, hockte seit ihrer Stilllegung 1993 ebenso großartig wie nutzlos in der Stadt. Nun ist ein Teil zum Ausstellungsraum geworden; in einem Riesenrad können BesucherInnen vom höchsten bis zum niedrigsten Punkt der Kokerei fahren. Plötzlich kommen TouristInnen ins Ruhrgebiet. Und da ist man halb geschmeichelt, halb befremdet. „Manchmal denke ich, die kommen gleich in meine Küche“, grummelt Verena Heumann. Mit Badelatschen, neongelbem T-Shirt und rosa Hose steht sie vor ihrem Haus in der Herner „Siedlung Teutoburgia“, einem der Vorzeigeprojekte der IBA. Nach der Renovierung sieht die Kolonie mit ihren Giebelhäuschen aus wie eine kleine Gartenstadt. „Hübsch“, finden die Besucher. Das findet Verena Heumann auch – doch Euphorie? Ihr Mann hat sich jahrelang unter Tage abgerackert, ein Knochenjob im Schichtdienst – und darum jetzt der ganze Wirbel? „Komisch ist das schon – früher war es doch das Letzte, Bergmann zu sein.“

Heute verhaken sich jedes Wochenende Reisebusse in den engen Einbahnstraßen der Kolonie; die Kinder werden auf dem Schulweg von TouristInnen gefragt, wann ihre Siedlung gebaut worden sei. Nein, leicht nachzuvollziehen ist das nicht, wenn man in der dahinsiechenden Montanindustrie arbeitet oder: arbeitete. In den Fünfzigerjahren waren noch 400.000 Männer im Bergbau beschäftigt, heute sind es knapp 40.000.

Der Bergbau stirbt und vererbt dem Ruhrgebiet eine zersiedelte Landschaft. Städte krallen sich ineinander, Grünflächen reichen mancherorts kaum für einen längeren Spaziergang. Auch hier sollte die IBA helfen, wünschte sich Johannes Rau vor zehn Jahren. Sie möge „das Ruhrgebiet zur grünsten Industrieregion Europas“ machen, so der damalige Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens. Die Emscher, gut 330 Kilometer lang, sollte für 450 Millionen Mark renaturiert werden. Doch immer noch sieht sie mehr nach offenem Abwasserkanal als nach Fluss aus. „Das ist eine Aufgabe für zwei Generationen“, sagt IBA-Vizechef Achim Dahlheimer. Ein Stückchen Emscher ist schon fertig, und auf stillen Zechengeländen haben sich Pflanzen und Tiere breit gemacht. Der ehemalige Lagerplatz der Dortmunder Kokerei Hansa etwa riecht nach Hustensaft: Hier wächst der Klebrige Alant. Und im Naturschutzgebiet Hallerey haben sich durch Bergabsenkungen Seen gebildet, an denen jetzt Haubentaucher und Lachmöwen wohnen.

Wenn keine Kohle, dann wenigstens Besucherpütt

Auf „seiner Zeche“ möchte Werner Heinrich derlei Getier nicht sehen. Fast 40 Jahre lang hat der 69-Jährige „auf Hugo“ in Gelsenkirchen gearbeitet. Der Zechenhof grenzt an seinen Kaninchenstall; hinter dem Haus verstellt eine riesige Abraumhalde den Blick auf die Stadt. Das prägt, auch nach 16 Jahren Ruhestand. „Wir waren das Flaggschiff der Ruhrkohle-AG“, schwärmt Heinrich. „Wir hatten immer gute Qualität. Unsere Kohle wurde benutzt, um die von anderen Zechen zu veredeln.“ Werner Heinrich lehnt sich zurück auf dem Sofa, auf dem ja schon der armenische Ministerpräsident saß. Unterschriften hat er gesammelt für den Erhalt der Zeche „als Besucherpütt“, in der TouristInnen unter Tage fahren können. „Egal, wo wir waren, auf Geburtstagen oder auf einer Hochzeit, überall ging unsere Liste rum.“ Genützt hat es bisher nichts.

Also hat er klein angefangen, wie damals auf der Zeche. In einer Souterrainwohnung in der Nachbarschaft. „Geschichtskreis Hugo-Schüngelberg“ steht an der Tür; drinnen herrscht ein Klima wie unter Tage: warm, stickig, ein wenig feucht. Hier lagert, was vom Bergbau übrig blieb. Schaufensterpuppen tragen Uniformen und Grubenlampen, an der Wand hängt ein Querschnitt durch eine Zeche. Werner Heinrich fährt mit den Fingern die Stollen hinab, erklärt völlig unvermittelt den Unterschied zwischen einem blinden Schacht und einem, in den die Bergmänner einfuhren. Unter dem Fenster liegt ein Stück Kette, „das ist die, mit der sich die Kumpel damals in Bonn vor der FPD-Zentrale angekettet haben“. Und an der Wand die Fotos, „wie wir die Apostelkirche besetzt haben, um gegen die Zechenschließung zu protestieren“.

Hart war die Arbeit unter Tage – und identitätsstiftend. Vor den Häusern in den Bergmannsiedlungen stehen Kohleloren neben Gartenzwergen. Und als Investoren einzelne Kolonien abreißen wollten, wehrten sich die BewohnerInnen so wütend, dass die Pläne aufgegeben wurden. Nach all dem Kampf um Arbeit und Wohnen „sind wir schon ein bisschen stolz, dass die Leute uns so viel Aufmerksamkeit widmen, jetzt mit der IBA“, lächelt Christa Heinrich, „vorher lagen wir hier ja im Dornröschenschlaf“. Und wenn sich nach dem Finale der Ausstellung nun wieder die Müdigkeit über die Kolonie senkt? Wenn Kritiker wie Arnold Voß Recht behalten, der die Ausstellung in der taz ruhr als „Regionaldesign“ bezeichnete und schimpfte, der Strukturwandel habe „keineswegs in dem Maß stattgefunden, den sie vorgaukelt“? „Man hat uns gesagt, dass das mit den Besuchern weitergehen wird“, sagt Christa Heinrich. Und IBA-Vizechef Dahlheimer beteuert, dass der Aufschwung nicht vorbei sein wird: „Die Fortführung der meisten Projekte ist gesichert.“ Dennoch, sagt er, „ist noch etwas offen“. Wer die Emscher-Renaturierung betreut etwa, und wer für die Erhaltung der Industriedenkmäler sorgt. Denn die IBA GmbH löst sich zum Jahresende auf. Die SPD will die Gelegenheit nutzen und die Verwaltung im Ruhrgebiet reformieren. Die IBA-Gesellschaft soll zusammen mit der Interessenvertretung der Gemeinden, dem Kommunalverband Ruhr, zu einer „Agentur Ruhr“ verschmelzen. Doch seit der Kommunalwahl im September regiert die CDU kräftig mit in Nordrhein-Westfalen – und die ist gegen das aus ihrer Sicht „abstruse Agenturmodell“. Sie favorisiert einen Verwaltungsbezirk Ruhr.

In der Schüngelbergsiedlung Gelsenkirchen, im grauen Haus der Heinrichs, auf der graulila Couch, sieht man dem Ausgang des Streits mit gewohnter Gelassenheit entgegen. „Müssen wir halt schauen, wie's weitergeht“, sagt Werner Heinrich, und seine Frau nickt. Bleiben die TouristInnen aus, wird es in der Siedlung so aussehen wie vor zehn Jahren. Nur, dass die Häuschen in der Sackgasse neue Fassaden und Badezimmer haben.

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