Aus dem Zerfall

Shinji Somai-Retro im Metropolis  ■ Von Olaf Möller

Als zu Beginn der 70er Jahre das lokale Studiosystem zusammenbrach, zerfiel das japanische Kino in etwas wesentlich Dynamischeres, das fähig war, die unterschiedlichsten Talente aus den verschiedensten Ecken der Filmkultur – Super-8-Filme, Pornos, Fernsehen etc. – in sich zu integrieren. Und ist nicht das innere Selbst der Kinemathografie von jeher ihr extrem eigener Eklektizismus?

Einer der Regisseure, die in jener Zeit des Zerfalls und der Restrukturalisierung ihr Handwerk lernten, war der 1948 geborene Shinji Somai, dem das Metropolis nun eine kleine Werkschau widmet. Wie die meisten Meister seiner Generation – Yoshimitsu Morita, Nobuhiko Obayashi, Kohei Oguri – ist auch Shinji Somai, im Hinblick auf seine Themen wie auch die jeweiligen Genres, ein Eklektizist: So hat er etwa mit Gyoei no mure / The Catch (1983) ein naturalistisches Heimatdrama gedreht, mit dem im gleichen Jahr entstandenen Shomben Rider / Die Pisse-Reiter eine symbolisch-faux-existentialistische Farce, mit Love Hotel (1985) ein strammes Sexmelodram, mit Tokyo joku irasshaimase / Tokyo Himmel (1990) eine comedie blan-che, und mit Natsu no niwa / The Friends (1994) einen Kinder-Film (für Erwachsene). Das erschwerte, vorsichtig gesagt, westlichen Interessenten den Zugang zu Somais Werk: Irgendwie schien ihnen das alles nur Kraut und Rüben zu sein.

Was allerdings allen auffiel, war Somais sehr spezieller Umgang mit jenem Stilmittel, das die Filmsemiotik als „Plansequenz“ beschreibt: eine lange, ungeschnittene und in sich geschlossenen Sequenz, wie sie z.B. von Orson Welles zu Beginn von Touch of Evil so spektakulär eingesetzt wurde. Von Sailorfuku to kikanju / Das Schulmädchen und die Maschinenpistole (1981), seinem zweiten Film, bis zu Tokyo joku irasshaimase hat er in allen Filmen sämtliche Szenen auf diese Art und Weise gedreht – mit kleineren Ausnahmen, die allein die Regel bestätigen.

Bislang kann man Somais Oeuvre in zwei Phasen unterteilen: die Plansequenzen-Phase, die auch genau die ersten zehn Jahre seines Schaffens umfasst, sowie die ,Kinder-Phase' – Ohikkoshi/Der Umzug (1993), Natsu no niwa, und Ah, haru/Oh!, der Frühling (1998) –, wo die Verwendung von Plansequenzen etwas in den Hintergrund tritt zu Gunsten einer Beschäftigung mit ,elementaren Themen' – gesehen aus der Sicht von Kindern, definiert durch die Konfrontation von Kindern und Erwachsenen. Auf Grund von Somais Vorliebe für Plansequenzen hat man ihn mittlerweile mit so ziemlich jedem Meister der Plansequenz – Mizoguchi, Angelopoulos, Jancso – verglichen, ohne damit aber seiner eigenen Art der Verwendung dieses Stilmittels auf den Grund zu kommen.

Was ihn generell von den Obigen unterscheidet ist, dass er mit der Kamera den Figuren folgt, ihren Raum umkreist. Er meisselt nicht mit der Montage an den Figuren herum, sondern gibt ihnen einen bestimmten Raum, in dem sie sich vor allem schauspielerisch entfalten können. Dieser Strategie von extrem ausgearbeiteten, emotional häufig sehr brüchigen Szenen – es kann immer alles in jede Richtung schwenken – setzt er eine äußerst elliptische Narration entgegen: Wie Wagons eines Zuges folgen die Szene an- einandergekuppelt meist nur durch einen simplen Schnitt.

Es scheint, als steckte von Seiten Somais da auch ein wenig Furcht, vielleicht auch Respekt gegenüber den Leben seiner Figuren dahinter: als müsste er sich erst einmal über das Wesen des Kinos klar werden – ein Prozess, der, scheints, mit Tokyo joku irasshaimase zu seinem Endpunkt gelangt ist –, um sich dann mit Hilfe dieser Mittel dem eigentlichen Problem des Lebens zu stellen: dem Leben selbst.

Love Hotel: 26.10., 21.15 Uhr Der Umzug: 28.10., 19 Uhr + 29.10. 19.30 Uhr Der Sommergarten: 29.10., 21.15 Uhr + 31.10., 19.30 Uhr, alle Metropolis