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Viva Style

Berlin erwartete den letzten Playboy des Pop. Morrissey kam, sah und streckte alle mit einem Lächeln nieder  ■   Von Philipp Bühler

Bei Smiths-Aposteln und Morrissey-Fans soll es sich um grundlegend verschiedene Leute handeln. Glaubt man dem Gerücht, verbringen die einen, spindeldürre Vegetarier, warme Sonnentage zu Hause, planen Weltrevolutionen von der Bettkante aus oder horchen auf geheime Botschaften, die der Messias nur für sie in die Auslaufrillen gekratzt hat. Bei den anderen hingegen handelt es sich um eiskalte Brokertypen, die sich, eben mal das Nackensteak verdauend, den alten Mozzer auf CD besorgen und bei WOM durchs S-Fach grabbeln können, ohne auch nur feuchte Finger zu kriegen. Was sie an dem Mann fasziniert, hat nichts mehr mit misslungener Liebe auf stillgelegten Eisenbahnlinien oder ähnlichen Romantizismen zu tun. Sie genießen es vielmehr, wie Morrissey auf seinen jüngsten Platten seine Gegner in die Hölle schickt und geldgierigen Drummern, skrupellosen Rechtsverdrehern und rufmordenden Journalisten das baldige Ende voraussagt.

Natürlich ist nichts dran an dieser Schisma-Theorie, und abgesehen von ein paar Rowdies, die den Namen des Gastgebers nur im tumben Rhythmus von „Here we go!“ wiederzubilden imstande sind, sind nur ganz liebe Leute in die gut gefüllte Berliner Columbia-Halle gekommen. Aber der Abend sollte Aufschluss geben darüber, wer uns Morrissey dereinst sein wird: Dr. Jekyll oder Mr. Hyde, ein liebesbedürftiger Fänger im Roggen oder der British Psycho der Popindustrie.

Was das Licht dann zum Vorschein bringt, ist eine Orgie des Stils. Fin de siècle. Ein in lüsternes Blutrot getauchter Vorhang ist um die Bühne geschlungen. Davor steht, auf Zehenspitzen im samtenen Oscar-Wilde-Jackett, Morrissey. Zur Verbeugung den Kopf auf die Brust gelegt und die Arme über den Rücken nach oben geschwungen, ist er das Abbild eines Racheengels, wie ihn Beardsley nicht schöner hätte zeichnen können.

Das sind zwei Sekunden für die Ewigkeit. Und plötzlich löst sich diese Spannung im charmantesten „Hello“, das man sich denken kann. Das Publikum rast. Wer frühere Konzerte von ihm gesehen hat, kann es kaum fassen. Der Dandy ist wieder da. Der letzte der internationalen Playboys tritt an zu einem Flirt mit seinen Fans, und er flirtet so gut wie schon lange nicht mehr. Es liegt weniger an den unzähligen Posen, in die er sich auch heute Abend wirft, auch nicht an der ungewöhnlichen Auswahl der Songs, die sich zielsicher an den laschen Singles vorbei direkt an die treue Gemeinde richtet. Nein, er streckt die Menge mit einem Lächeln nieder. Es ist ein so bescheidenes wie ehrliches Lächeln, das man von diesem zornigen alten Mann nicht mehr erwartet hätte. Morrissey-Fans leiden nämlich mit ihrem Helden. Deshalb können sie sich auch für ihn und im eigenen Interesse freuen, dass er so milde gestimmt ist. Wer heute wie zu alten Smiths-Zeiten Blumen auf die Bühne wirft, riskiert nicht, dass der Meister sie auf der Stelle zerdeppert. Kaum zu glauben, aber das ist sehr viel.

Die erste Runde ist einigen gut gewählten Krachern vorbehalten. Was der Band, dieser eigenartigen Rockabillygang, die er vor neun Jahren im ersten Solofrust kollektiv für seine Dienste verpflichtet hat, nur solide Handarbeit abverlangt, gibt Morrissey Gelegenheit zu den tollsten Kapriolen. Da würfelt er die Worte durcheinander, bis sie dem Textblatt Hohn sprechen, und rollt das R so schön, wie das sonst nur noch Johnny Rotten kann.Weil diese Tour ohnehin keinen Anlass hat – zumindest gibt es kein neues Album –, bedient er sich dabei munter der ganzen Bandbreite seiner Solowerke. Plötzlich zupft er mit vielsagendem Augenzwinkern an seiner berüchtigten Tolle oder an dem, was davon übrig geblieben ist, und es bricht der Moment an, auf den wohl die meisten gewartet haben.

Schon die ersten Takte von „Is it really so strange?“ lösen eine mittlere Hysterie aus. Es ist die Nacht der tausend Hände, die sich diesem prototypischen Popstar entgegenrecken. Drei Lieder der Smiths wird er heute abend spielen, und das sind drei Lieder mehr, als man von ihm, der sich schon verbittert von seiner Vergangenheit gelöst hatte, erwarten konnte. Doch mit dem nächsten Klassiker folgt noch mehr, nämlich der Beweis, dass sich hier keiner vom sanften Melancholiker zum herzlosen Monster gewandelt hat, dass sich hinter Morrisseys Ch-Ch-Changes nie ein Chamäleon versteckt hielt. „Meat is murder“, das ist ganz der junge, der mahnende und mitfühlende Morrissey, der mit mal erhobenem, mal anklagend auf das Publikum gerichtetem Zeigefinger daran erinnert, warum Liebe und Gewalt einfach zusammengehören, wegen der Welt nämlich, und in so einem Moment ist man dann auch bereit zu vergessen, dass man irgendwann mal am unerträglich solipsistischen Gehabe Morrisseys des Älteren verzweifelt ist.

Amen. Doch „Oye Esteban“ (das ist der Titel dieser Tour, und wir übersetzen ihn mal mit „Hey Steven“). Was nun kommt, kann doch nicht dein Ernst sein! Zum Schluss, als sich das Programm schon ein wenig in Beliebigkeit verlaufen hat, holt der begnadete Crooner die allersanftesten Lieder an seine besten Freunde aus der Mottenkiste, und siehe da, sie handeln alle von Abschied in einer Eindringlichkeit, die über den heutigen Abend hinausweist. „Break up the family“ vom allerersten Soloalbum, das war noch nie auf der Agenda! Sollen wir nun die ganze schöne Familie, die sich gerade erst wieder zusammengerauft hat, schon wieder zerbrechen lassen? Ein junger Mann kann es nicht fassen, durchbricht die Absperrung und wirft sich dem sichtlich gerührten Morrissey um den Hals, bis die glatzköpfigen Ordner kommen und ihn vermutlich totprügeln. Wie gehabt: keine Leidenschaft ohne Gewalt. Aber vielleicht hat er es an diesem Abend geschafft, sein Idol von unbedachten Schritten abzuhalten. Es ist zu hoffen.

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