Zeitgemälde in Zeiten der Okkupation

■ Ein Stück neue Sachlichkeit im Paris der Dreißiger- und Vierzigerjahre: Mit „Gloomy Sunday“ erzählt Filmregisseur Rolf Schübel eine ungewohnt coole Dreiecksgeschichte

Eines der auf vertrackte Weise faszinierendsten Bilder Rolf Schübels „Gloomy Sunday“ ist eine alte Wochenschausequenz. Sie zeigt ein im Wasser treibendes Grammofon, wozu die Kommentarstimme erklärt, dass die Hysterie um „Das Lied vom traurigen Sonntag“ nun auch die Vereinigten Staaten erreicht habe, wo sich beispielsweise in New York die jungen Selbstmörder ins Auto setzten um bei laufender Schellack in den East River zu rasen.

Es ist ein authentischer Filmeinschub, denn das chansonartige Kunstlied, das der ungarische Komponist Rezso Seress 1935 in einem Restaurant in Budapest schrieb, ging in den darauf folgenden Jahren als „Hymne der Selbstmörder“ um die Welt. Fiktiv ist die Geschichte drum rum; etwa dass der Komponist Andras Aradi (Stefano Dionisi) in einem Kino sitzt, in dem just jene Wochenschau läuft, die dann natürlich vor allem vom Vorrücken der deutschen Wehrmacht berichtet – wiederum ein Stück bösen Realfilms.

Es ist dieses Lied, das Schübels Film den Titel gab, das die beiläufige Verzahnung von Fakt und Fiktion ermöglicht. Es ist der historisch belegte Untergrund, auf dem jeder noch so fantastische Überbau sicher aufsetzen kann. Wobei „Gloomy Sunday“, nach der Vorlage des Romans von Nick Barkow, recht besehen gar keine sonderlich fantastische Geschichte erzählt; der Film ist durchaus ein Genrestück mit den vorhersehbaren Versatzstücken wie dem SS-Mann, dem jüdischen Restaurantbesitzer und der Frau, die zwischen ihnen steht. Der Film ist also, wie es sein Regisseur auch intendierte, in Stil und Struktur keineswegs innovativ, aber es gelingt ihm – nicht unähnlich dem gezeigten Grammofon – tatsächlich, die oftmals trüben Wellen des historischen Ausstattungsfilms zu reiten. Kurz, er ist ein durchaus bemerkenswerter Film.

Mit zweifellos bemerkenswerten Schauspielern, die die melancholisch-heitere und dreieckige Liebesgeschichte zwischen dem Restaurantbesitzer László Szabo (Joachim Król), dem Komponisten und Restaurantpianisten Andras und der von beiden geliebten Ilona (Erika Mározsan), die im Zentrum von „Gloomy Sunday“ steht, gleichermaßen elegant und glaubwürdig über die Leinwand bringen. In dieses Dreieck stößt gleich zu Beginn der deutsche Kaufmann Hans Eberhard Wieck (Ben Becker), der sich sofort in die reizvolle Ilona unsterblich verliebt. Sie freilich weist ihn ab, und als er im Krieg, Jahre später, das Restaurant wieder besucht, um das berühmte Rollfleisch und das noch berühmtere Lied zu genießen, nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Hans ist nämlich kein Freund, wie die drei hoffen, sondern ein mörderischer Opportunist.

Wenn etwas die runde, wohl ausbalancierte Geschichte um den traurigen Musiker, den erfolgreichen Restaurantbesitzer und die schöne lebenshungrige junge Frau, deren unkonventionelles Glück den grausamen Zeitläuften zum Opfer fällt, ins Ungleichgewicht bringt, dann ist es die Rahmenhandlung, die den Einstieg etwas mühsam macht. Beim überraschenden Ende allerdings meint man, den etwas plumpen Rahmen um das raffiniertere Zeitgemälde akzeptieren zu können.

Es ist die stets eher zurückhaltende und nur in wenigen wichtigen Szenen glamourös angelegte Art der Inszenierung, die bei „Gloomy Sunday“ überzeugt. Der als Dokumentarist zu vielfältigen Ehren gekommene Regisseur Rolf Schübel und sein hervorragendes Schauspielerensemble spielen die Geschichte leidenschaftlich, aber cool. Sie retten gewissermaßen ein Stück neue Sachlichkeit in die Dreißiger- und Vierzigerjahre hinüber – und das geht dann schon gegen die Erwartungen des Genres. Es ist der Sound, der „Das Lied vom traurigen Sonntag“ zum geglückten Fall eines historischen Melodrams macht.

Brigitte Werneburg
‚/B‘ „Gloomy Sunday – Ein Lied von Liebe und Tod“; Regie: Rolf Schübel. Mit Joachim Król, Erika Mározsan, Ben Becker, Stefano Dionisi, u. a. Deutschland/Ungarn 1998, 114 Min.