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Das Dingsbums 21

■ Der weltweite Animationsprozess der Agenda 21, unsere Erde halbwegs unversehrt an die nächste Generation weiterzugeben, schwankt zwischen aufopferndem Engagement und Stilblüte

„Mambo number five sagt mir mehr“, überlegt die 13-jährige Katrin aus dem Landkreis Aurich. Ihre Lehrerin möchte an ihrer Schule über die Agenda 21 berichten. „Das ist so was mit Naturschutz, oder?“, dämmert es der Schülerin.

Anders Birgit Koschnik – sie ist Professorin an der Emder Fachhochschule und hat sich seit Jahren der Agenda verschrieben. „Wir waren sogar eine der ersten Unis, die Agenda-orientierte Studiengänge eingeführt haben.“ Jens Paschier hat sich in diesem Studium als Sozialpädagoge intensiv mit Erwachsenenbildung, der Agenda und Umweltpädagogik beschäftigt. Sieht er berufliche Perspektiven? „Das weiß ich nicht“, bleibt er reserviert.

Seit gut drei Jahren ist die 1992 auf der Umweltkonferenz in Rio de Janeiro beschlossene Agenda 21 (Was für das nächste Jahrtausend zu tun ist) auch auf dem Lande angekommen. In der Lokalen Agenda verpflichtet die Bundesrepublik ihre Städte und Gemeinden, sich dem internationalen Agenda-Prozess anzuschließen. „Sicher gibt es traditionelle Politikfelder, wie etwa den Umweltschutz, auf denen seit langem gearbeitet wird“, meint Birgit Koschnik. „Der neue Gedanke der Agenda ist aber, weltweit auch in kleinen Gemeinwesen den Schutz der natürlichen Ressourcen in eine ökologische Entwicklung der Wirtschaft zu integrieren, um zu einer menschlicheren Lebensweise zu kommen.“

Der hohe moralische Anspruch der Agenda scheitert aber manchmal an menschlichen Eigentümlichkeiten. Anfangs beteiligte sich in Emden auch der grösste Arbeitgeber der Region, VW, an den Diskussionsprozessen. Als VW merkte, daß sich kein anderer kompetenter Arbeitgeber an den Agenda-Diskussionen beteiligte, stiegen auch die VW-Werker wieder aus. Fazit: „Frustrierend in Emden war, wir hatten zwar 160.000 Mark für ein Projekt, aber niemanden, der das Projekt machen wollte.“

Dabei ist die Situation in Emden für den Agenda-Prozess optimal. Die Kirchen engagieren sich, die Uni ist ein ewiger Motor von Aktivitäten und das Ökowerk ist ein in Norddeutschland einzigartiges Projekt. Hier wird beispielhaft gezeigt, wie im Haushalt ökologisch sinnvoll organisiert werden kann. Vom effektiven Kompostieren, über kreativen Umgang mit Müll, einer pfiffigen Gartengestaltung, über Energie-Einspartips ist hier alles zu besichtigen und auszuprobieren. Hier absolviert Jens Paschier sein Anerkennungsjahr als Sozialarbeiter: „Wir haben zusammen mit der Fachhochschule hier eine Solargemeinschaftsküche für ein pakistanisches Dorf entwickelt.“ Das futuristisch anmutende Riesengerät ist aus echt Emder Schrott hergestellt, kocht bei Sonnenschein hervorragend und hilft den Pakistanis, auf knappes Holz als Brennmaterial zu verzichten. „Der Sonnenkochtopf kann leicht nachgebaut werden. Alle Agenda-Forderungen sind hier vereinigt. Und das Ding funktioniert in Pakistan“, meint Paschier.

Das Ökowerk ist ebenso ein Aushängeschild des Agenda-Prozesses wie der stadtökologische LEER-Pfad. An neun Stellen in Emdens Nachbarstadt Leer, werden stadtökologische Themen dargestellt. Insgesamt fünfzehn bis zwanzig Stationen sollen es einmal werden. Im September wurde der erste Abschnitt eröffnet. Die Leeraner haben nicht nur den Anspruch, schöne Ökostationen zu bauen, sie haben tatsächlich ihre Stadt verändert. „Wir wollen unsere MitbürgerInnen animieren, ökologischer zu leben, Energie zu sparen, Konsum zu zügeln“, meint Ehler Cuno, für die Stadt Leer in der Projektgruppe.

Während in anderen Gemeinden der Diskussionsprozess noch mühsam in Gang gebracht werden muss, wuchern andere mit ihren Pfründen. Wie in Emden sind auch in Leer mit der Stadtverwaltung, der Volkshochschule, den Kaufleuten und dem Stadtmarketing alle „Machtzentren“ der Stadt am Projekt beteiligt. Hauptsächlich getragen wird es aber durch Einzelpersonen. Einige von denen leiden. Denn Agenda-Arbeit heißt hauptsächlich, Kompromisse schließen zu müssen. Der LEER-Pfad hat zwar einen direkten Draht zum Bürgermeister. Dafür müssen sich die Aktivisten aber in der Tagespolitik ihres Kommentars enthalten. Während die Projektgruppe noch ihren LEER-Pfad diskutierte, räumte die Verwaltung einen stadtnahen Wald ab. Während der niedersächsische Umweltminister Wolfgang Jüttner den LEER-Pfad eröffnete („Allererste Sahne, was ihr hier macht.“) drückt der Bürgermeister ein Baugebiet nach dem anderen durch. Leer, wird unökologisch aber verkehrsintensiv zersiedelt. „Man läuft immer Gefahr, den Politkern mit der Agenda kostenlose PR-Arbeit zu liefern“, meint eine Aktive aus Leer, die namentlich nicht genannt werden möchte. Und Birgit Koschnik aus Emden: „Die Agenda ist dann richtig, wenn sich auch in der Verwaltung etwas bewegt.“

Sowohl das Ökowerk in Emden, als auch der LEER-Pfad in Leer haben in ihrer Arbeit nicht als Agenda-Projekte begonnen. Leer hat nicht einmal, wie andere Gemeinden, Agenda-Beauftragte. Mittlerweile entsprechen aber gerade diese beiden Projekte beispielhaft der Agenda-Charta der Vereinten Nationen. Andere Projekte tun sich noch schwer. Da möchte die Verwaltung der Gemeinde Weener ein Biomasse-Heizkraftwerk und einen Windpark als Agenda-Projekte verkaufen. Das Heizwerk ist ökologisch umstritten. Es fördert den Mülltourimus. Bislang konnte der Vorwurf, der geplante Verbrennungsofen für Gebrauchs- und Treibholz würde Dioxin herausschleudern, nicht widerlegt werden. Unglücklicherweise ist der Windpark Weener just in einem Vogelschutzgebiet gebaut, mit Wissen der Verwaltung.

Der Bürgermeister von Boekzetel hat nach Aussagen von Aktivisten seiner Gemeinde ein knappes Verhältnis zur Agenda. „Quatsch“, soll er gesagt haben. Und: „Das soll jeder mit sich selbst abmachen.“ Thomas Schumacher

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