Hakenkreuz gegen den Krieg

■  Amtsgericht Tiergarten verurteilte eine Berliner Serbin, weil sie mit einem Hakenkreuz auf einer US-Flagge gegen den Kosovo-Krieg demonstriert hatte. Ihr Anwalt hält das Urteil für rechtswidrig

Am Abend des 26. März dieses Jahres führte Milica L. ein Ferngespräch von Berlin nach Belgrad. Als die gebürtige Serbin, die seit 20 Jahren in Berlin lebt, den Hörer auflegte, wusste sie, dass der Schwager ihrer Schwester tot war. Kampfflugzeuge der Nato hatten die bis dahin massivsten Angriffe auf Jugoslawien geflogen.

„149 andere Zivilisten wurden damals bei dem Bombardement getötet“, sagt die Mutter von drei Kindern verbittert. „Ich bin nicht politisch, aber das war zu viel.“ Am nächsten Tag schickte die Einzelhändlerin eine Bekannte los, die ihr eine amerikanische Flagge besorgte. „Ich hatte keine Worte für das, was passiert war“, erzählt sie. Also schnitt sie aus dem Stoff eines schwarzen Shirts ein Hakenkreuz aus. Ein paar Nadelstiche machten die Kombination perfekt.

„Ich wusste nicht einmal, wie das Hakenkreuz genau aussieht“, sagt Milica L., die einen kleinen Laden für jugoslawische Spezialitäten in Schöneberg betreibt, heute lachend, „ich mache ja so etwas sonst nie.“ Derart ausgestattet, ging sie am 27. April auf den Alexanderplatz, um mit zehntausend anderen Menschen gegen die Angriffe zu demonstrieren.

Der Protest hatte für Milica L. einen großen Haken. Noch während der Kundgebung unter dem Motto „Europa schaffen ohne Waffen“ nahm die Polizei die 52-Jährige fest. Sieben Stunden verbrachte die Frau in Polizeigewahrsam. Am Dienstag nun verurteilte sie das Amtsgericht Tiergarten zur Zahlung von 450 Mark Geldstrafe. Das Gericht warf ihr vor, Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet zu haben. Ein Sprecher der Justizpressestelle sagte: „Das Gericht hat die Tat als normales Verbreiten nationalsozialistischer Propaganda gewertet.“

Der Strafverteidiger Karl-Horst Ulmer hält das Urteil für skandalös. Er will Berufung einlegen. „Frau L. hat das Symbol als Zeichen der Kritik verwendet“, so Ulmer. Seine Mandantin habe darauf hinweisen wollen, dass sowohl das NS-Regime als auch die Nato ohne Kriegserklärung einen Angriffskrieg geführt hätten.

Gleich in drei Grundsatzurteilen habe der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die Verwendung von NS-Symbolen nicht strafbar ist, wenn sie in Verbindung mit einer Kritik am Nationalsozialismus stehen, argumentiert der Anwalt. In einem Fall habe der BGH 1973 einen Demonstranten freigesprochen, der vor Polizisten den Hitlergruß gezeigt hatte. Die Beamten waren zuvor unsanft gegen Protestierer vorgegangen. Und selbst die Verwendung von SS-Runen im Namenszug des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß durch Kritiker beließen die Richter straffrei. „Durch die Beteiligung an einer Anti-Kriegs-Aktion war der Sachverhalt der Kritik eindeutig gegeben“, meint Ulmer. Selbst die beteiligten Polizisten hätten vor Gericht ausgesagt, ihnen sei klar gewesen, dass die Frau vor Parallelen zum Nazismus warnen wollte, berichtet der Anwalt. Dies sah die Richterin als nicht gegeben an.

Die Motive von Frau L. sind nachvollziehbar: Ihre Mutter, geboren 1923, erlebte am 6. April 1941 die „Operation Vergeltung“ der Wehrmacht. Fast 500 deutsche „Sturzkampfbomber“ setzten Belgrad in Brand. Binnen weniger Stunden starben mindestens 1.500 Zivilisten. Schon nach wenigen Tagen war die Zahl der Opfer auf 17.000 angestiegen. Die Mutter von Milica L. überlebte in einem Belgrader Luftschutzbunker. Den Vater verschleppten die Nazis in ein österreichisches Konzentrationslager, wo an ihm Menschenversuche durchgeführt wurden.

Den 6. April 1999 verbrachte die 76-jährige Mutter von Milica L. wieder in einem Keller – diesmal bombardierte kein faschistischer Staat, sondern die Nato. „Damals wie heute haben die einfachen Menschen gelitten“, sagt L., die ihren Protest nach wie vor für richtig hält. „Die jugoslawischen Kinder haben noch heute Albträume“, erzählt sie. „Ich habe geweint, als das Urteil gesprochen wurde.“ Andreas Spannbauer