Der als Macho noch was gilt

Carlos Saúl Menem war zehn Jahre lang Präsident von Argentinien. Anfangs war er als Provinzanwalt den besseren Kreisen in Buenos Aires verdächtig – inzwischen respektieren ihn alle Volksschichten. Seine Regierungsjahre haben aus dem lateinamerikanischen Land fast einen Musterstaat für Wohlhabende gemacht. Die Armen lieben ihn, weil er ein Typ Mann ist, der Sinn für hollywoodesken Glamour hat. Hintergründe von Ingo Malcher

Goldene Manschettenknöpfe, den Leibfrisör bei Staatsbesuchen immer im Gefolge und die pathetische Aura eines Sonnenkönigs: Carlos Menem liebt die Zeichen der Macht. Die Rolle des großen Staatsmannes auf der Weltbühne sei für ihn geschrieben, hat er einmal gesagt. Früher war er ein kleiner Rechtsanwalt aus der armen Provinz La Rioja, heute genießt er das Licht der Scheinwerfer und die Blitzlichtgewitter, die seine Auftritte begleiten. Er hat längst kapiert, wie eine moderne Fernsehgesellschaft funktioniert. Als Medienfigur weiß Menem die Massen zu bedienen.

Hinzu kommt sein Geschick, hinter den Kulissen die Fäden zu ziehen. In seinem Kabinett hat kein Minister mit Format lange durchgehalten, alles ist auf Menem zugeschnitten. Zahllose Skandale und Krisen haben ihn eher gestärkt als geschadet. Der „Prinz“ von Machiavelli ist seine Lieblingslektüre.

Zehn Jahre lang hat er Argentinien regiert, jetzt muss er verfassungsgemäß abtreten. Das fällt ihm schwer. Als er 1989 sein Amt antrat, schien es, als wolle er es als argentinischer Elvis versuchen: Von seinen buschigen Koteletten ließ er sich das halbe Gesicht zuwachsen. In den Cafés von Recoleta, dem Aristokratenviertel von Buenos Aires, schämte Argentiniens Oberklasse sich ein wenig für den „Negro“ aus der Provinz, der jetzt das Land regierte – man hoffte aber auch, dass er einen Weg aus dem Chaos weisen würde. Bald war er besser rasiert, und nach und nach verschaffte er sich Respekt.

Mit Rezepten des Internationalen Währungsfonds (IWF) strukturierte Menem die argentinische Wirtschaft neu. Heute ist die Währung des Landes stabil. Von der Telefongesellschaft über die Strom- und Wasserversorgung bis zu den Flughäfen ist alles in private Hand übergegangen – und teurer geworden. Für die beteiligten Firmen war Menems Modernisierungsprojekt ein Riesengeschäft, für die Angestellten der Staatsbetriebe bedeutete es den Ruin, sie wurden auf die Straße geschickt. Hatten die mächtigen Gewerkschaften unter Menems Vorgänger Raúl Alfonsin das Land noch paralysiert, waren sie unter Menem handzahm – trotz steigender Arbeitslosenzahlen, trotz der Einführung einer Hire-and-Fire-Ökonomie, trotz einer immer ungleicheren Verteilung des Reichtums.

Jetzt ringt Menem um einen Platz in der Geschichte. Zu gerne würde er noch erleben, dass in der Ahnengalerie großer Argentinier seine Büste neben denen von Evita und Juan Domingo Perón steht. Um dem ein wenig Nachdruck zu verleihen, beauftragte er einen Ghostwriter, der auf der Gehaltsliste des Präsidialamtes stand, seine Autobiografie zu schreiben und dort seine Erfolge und Erlebnisse mit den Berühmten der Welt zusammenzutragen. Pünktlich zum Ende seiner Amtszeit liegt das Opus in den Buchhandlungen.

In „Die Universen meiner Zeit“ (Orginal: Universos de mi tiempo), erinnert sich Menem an den Fall der Berliner Mauer und an seine Kindheit als Sohn syrischer Einwanderer in Argentinien. Menem erklärt Menem: „Ich wollte Don Quijote sein, nicht Cervantes.“ Er will eine fiktive Person sein, keine reale. Schon lange versucht er den Argentiniern einzureden: „Wir gehören zur Ersten Welt.“ Das glauben auch alle, die aus seinem brutalen neoliberalen Modell als Sieger hervorgingen. Für die meisten anderen bleibt es ein bitterer Treppenwitz.

Menem selbst besitzt alles, was ein Emporkömmling für die Statussymbole eines Bürgers der Ersten Welt hält: eine Rolex, einen Golfplatz im Garten und einen Ferrari, den er aber, weil er ein Geschenk war, zurückgeben musste.

Vor allem verkauft sich Menem nicht wie ein gewöhnlicher Politiker, sondern als ein Mitglied der Farandula, der Glitzerwelt des Showbusiness. Er wirkt eher wie ein Filmstar oder ein Sportidol als ein Präsident. Er gehört zum Inventar ihrer Partys. Der Präsident küsst die blondierte Talkmasterin Susana Giménez auf die Wangen und klopft Diego Maradona auf die Schulter, als hätten sie gemeinsam die Weltmeisterschaft gewonnen, und er lädt den Rock'n'Roller Charly Garcia in den Präsidentensitz Olivos ein, um sich von ihm ein Ständchen auf der E-Gitrarre spielen zu lassen.

Menem empfängt Michael Schumacher, Claudia Schiffer und Madonna im Regierungspalast Casa Rosada, als seien sie Staatsgäste. Er fühlt sich in den Klatschspalten der Zeitungen ebenso wohl wie im Politikteil. Seine Amtszeit war eine „Fiesta Menemista“: Auf rauschenden Empfängen serviert er seinen Gästen Pizza und Champagner. Dort tanzen die Gewinner des Systems. Der Rest muss leider draußen bleiben.

Den nach Schweiß riechenden Peronismus verwandelte Menem in eine Art argentinischen Thatcherismus – kurz „Menemismus“. Mit diesem Begriff ist vor allem wirtschaftliche Stabilität und die Reform des Staates gemeint. Er steht aber auch für ungenierte Korruption und Mafia. Der Staat wurde zum Selbstbedienungsladen für alle, die Zutritt zu den Etagen der Macht haben, während andere nach Ladenschluss im Müll vor der McDonald's-Filiale nach verwertbaren Resten wühlen. Menem hat seine Familie mit Staatsämtern versorgt, mit ihm befreundete Unternehmer konnten unter seiner Amtszeit Millionen horten. Sämtliche Minister seiner Regierung haben am Ende der „Fiesta Menemista“ ausgesorgt. Auch soll Menem seiner Tochter Zulema mehr Unterhalt bezahlen, als er mit seinem Präsidentengehalt eigentlich kann.

Die Privatisierung der staatlichen Telefongesellschaft wurde zum Skandal, die dafür zuständige Maria Julia Alsogaray wurde später mit dem Job der Umweltministerin belohnt – zuvor hatte sie für Fotografen nackt auf einem Pelzmantel posiert. Menem selbst wollte auch nicht leer ausgehen. In seinem Heimatdorf Anillaco in der Provinz La Rioja baute er sich ein Haus. Das haben andere Argentinier dort auch, wenige haben jedoch einen Palast mit Anschluss an eine Landebahn, auf der eine Boeing 747 problemlos aufsetzen kann. Für den „Olivenexport“ brauche das Dorf mit 1.200 Einwohnern die Landebahn dringend, verteidigte er sich.

Kurz darauf verschenkte Menem noch schnell ein Flugzeug aus der Präsidentenflotte an die Provinzregierung von La Rioja – so ist er wenigstens immer mobil, wenn er als Expräsident in Zukunft die Flugbereitschaft nicht mehr anrufen kann. Aber das sind eher Kleinigkeiten, die das Volk seinem Präsidenten nachsieht.

Schwerer wiegt ein bis heute unaufgeklärtes Kapitel: der Tod von Menems Sohn Carlos, der mit einem Hubschrauber abstürzte. Während Menems Exfrau Zulema Yoma immer darauf bestand, ihr Sohn sei einem Attentat zum Opfer gefallen, hat Vater Menem das stets bestritten. Sie beschuldigte ihren Exgatten, die Täter gar nicht fassen zu wollen. Vor wenigen Tagen sagte Menem plötzlich im chilenischen Fernsehen: „Mir wurde mein Sohn durch ein Attentat weggenommen.“ Insgesamt sind elf Zeugen, die an der Untersuchung der Todesursache von Carlos Menem Junior beteiligt waren, bei seltsamen Unfällen ums Leben gekommen oder wurden ermordet.

All diese Skandale prallen an Menem ab. Er steigt aus der Präsidentenmaschine „Tango 01“ am Flughafen, stürmt auf die Journalisten zu und ruft: „Hey Jungs, wie hat denn River Plate gespielt?“ Dabei kam gerade heraus, dass seine Regierung gegen das Waffenembargo gegen Kroatien verstoßen haben soll. Aber Menem ist offenkundig auch nur ein Mensch; seine Hauptsorge ist eben, wie sein Lieblingsfußballverein gespielt hat. Kritik macht ihn nur stärker. Bei einer Pressekonferenz verliert ein Journalist die Geduld und brüllt ihn mit knallrotem Kopf an: „Wenn Sie uns weismachen wollen, dass es in Argentinien keine Korruption gibt, dann wollen Sie uns doch verarschen.“ Stille. Menem lehnt sich zurück. Schaut unbeeindruckt in den Saal. Langsam beugt er sich zum Mikrofon, nimmt den Kerl ins Visier. Hebt nicht den Zeigefinger, sagt nur ruhig: „So, wie Sie das eben gesagt haben, haben sie gezeigt, dass ihnen jeglicher Respekt“ – dann wird er schneller – „vor dem Präsidenten der Nation fehlt.“ Fertig. Sieger des Duells vor laufenden TV-Kameras, Umfragen tags darauf belegten es: Carlos Menem.

Die Fiesta Menemista geht zu Ende. Das Land steht still. Die Industrieproduktion sinkt wegen der überbewerteten Währung, die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei fünfzehn Prozent, die Außenverschuldung hat sich in zehn Jahren verdoppelt. Menem wird sich nicht aufs Altenteil legen, er plant gar die Rückkehr. Aber in Argentinien sind fünf Jahre eine lange Zeit. Vielleicht hat das Volk, zumindest in der Erinnerung, von seiner Politik bald die Schnauze voll.

Ingo Malcher, 26, lebt in Buenos Aires. Seit 1996 ist er taz-Korrespondent für Südamerika