Vom Leib gehalten

■  Angst vor Intimität: Das Porträt über „Beate Uhse – Eine deutsche Karriere“ interessiert sich gar nicht für Beate Uhse (So., 23 Uhr, N 3)

Etwa zur Zeit der Währungsreform 1948 begann im Norden der damaligen Westzonen eine der bemerkenswertesten Frauenkarrieren der Nachkriegszeit. Konsequent revolutionierte und optimierte Beate Uhse das kaufmännische Geschäft mit sexuell stimulierenden Waren. Diese unvergleichliche Laufbahn konnte sie nur als Frau machen, nicht als Mann: „Bei dem hätte es immer geheißen, was für ein Dreckschwein.“ Schwierigkeiten hatte sie auch so genug. Dutzender von Strafprozessen musste sie sich erwehren. Die allermeisten hat sie gewonnen: „Ich biete nur an, was in Deutschland legal ist.“

Sie wird jetzt 80 Jahre alt. Immer noch, das zeigt der Film von Raymond Ley eindrücklich, wirkt sie frisch, jugendlich und munter – wenn auch eben mit vielen Falten versehen. Mittlerweile hält auch der Arbeitgeberverbandsvorsitzende von Flensburg große Stücke auf die Unternehmerin, was nicht immer so war: Nicht nur, dass die Dame die Deutschen mit Artikeln versorgte, die nach Vorstellungen christlicher Politiker nie in deutsche Schlafzimmer hätten Einzug halten dürfen. Nein, sie legte sich nach ihrer Scheidung auch noch einen erheblich jüngeren Liebhaber zu – zudem einen schwarzhäutigen Amerikaner. So weit, so persönlich.

Wissen wir nicht längst, wie es in Sexshops aussieht?

Aber ein Porträt? Leys Film ist keine Auseinandersetzung mit einer Person, die vermutlich mehr patriarchale Bastionen zum Einsturz hat bringen können als viele andere, die dies offen proklamiert haben. Sein Beitrag zeigt viel weitschweifiger als nötig diverses Material aus den Uhseschen Shops und Katalogen: aufblasbare Puppen, Dildos wie Meißel, so genannte Reizwäsche in den klassischen Sexfarben Schwarz, Rot, Weiß. Aber weiß heute nicht sowieso jede und jeder, was an Waren in Sexläden käuflich zu erwerben ist? Was unbekannt ist – und leider auch bleibt –, ist die Person Beate Uhse.

Was lässt sie heute sagen, dass sie ihren früheren Gegnern – und das war die ganze offizielle Bundesrepublik – verzeiht? Was hat ihr der Nationalsozialismus bedeutet? Das Regime, das es ihr erlaubte, die Pilotinnenlizenz zu machen– und mit dieser sogar Flüge für die Wehrmacht zu erledigen? Welches Bild hat sie vom Mann – ein soldatisches? Wie sieht sie sich als Frau? Wie im Vergleich zu Geschlechtsgenossinnen wie Hannelore Kohl, Verona Feldbusch, Christa Müller oder Steffi Graf?

Der Film trägt insgeheim noch die kulturkonservative Kritik der Achtundsechzigergeneration in sich – die, was die geistige Liberalität anbetrifft, sich unangenehm unterscheidet vom smarten Pragmatismus einer Beate Uhse („Wenn es den Leuten gefällt“). Als Stichwortgeber dürfen Günter Amendt und Oswalt Kolle zu Wort kommen. Und die singen, wer hätte das gedacht, das hohe Lied von der Liebe, die vom Kommerz zerstört werde. Aber ist nicht gerade Beate Uhse selbst das beste Beispiel dafür, dass unternehmerische Unabhängigkeit am ehesten dafür sorgt, dass moralische Lasten abgetragen werden können? Wer hätte denn sonst die Spießigkeit in den Sechziger- und Siebzigerjahren hinwegfegen können – wenn schon von der Politik keine Impulse ausgingen? Immer das gleiche Lied: Geld stinkt doch, beim Sex am meisten.

Vielleicht hatte der Autor auch einfach nur Angst davor, die Uhse wie ein neugieriger, sagen wir: normaler Mensch zu fragen: Wie haben Sie das gemacht? Was hat Sie bewogen, nicht abzuweichen, trotz sozialer Stigmatisierung? Warum war ein Dasein als Hausmütterchen nie attraktiv für Sie? Hatten Sie ein Leben mit gutem Sex? Was ist für Sie guter Sex? Wie stellen Sie sich ein Zusammenleben mit einem geliebten Menschen vor? Wann ist die Liebe vorbei? Was ist denn der Unterschied zwischen Sex und Liebe?

Die Person Beate Uhse bleibt eine Unbekannte

Nein, der Film hat keine Fragen aufgeworfen, auch nicht gestellt. Am wenigsten an Beate Uhse. Stattdessen hat sich Raymond Ley, handwerklich ja durchaus gelungen, das Objekt seiner Beschreibung derart vom Leibe gehalten, dass er keine Chance mehr hatte, die Dinge ohne ein recht dickes Brett vor dem Kopf zu prüfen.

Jan Feddersen