Bezichtigung

Zum Adel, findet meine Frau, sei alles gesagt, im Gegensatz zum Lichtbild übrigens. Da bedürfte es noch mancher Worte. Hier sitzt ihr antibürgerlicher Impuls, der sie zur Künstlerin macht – gerade in meiner Eigenschaft als Herkünftiger sehe ich ihr das gerne nach.

Absolute Metaphern sind beide, Adel wie Lichtbild. Ist doch beiden die große Geste aufs Visuelle eigen: Alles, was ihr hier seht, ist meins. In der hochalpinen k. u. k.-Monarchie schien diese weite Armbewegung übers Land noch referenzgesättigt. Im mecklenburgischen Flachland hingegen, auf dem Acker meiner Ahnen, erschöpfte sich die visuelle Geste aufs Ganze schnell. Das macht, dass die norddeutsche Aristokratie sich lieber ans Symbolische als ans Imaginäre hält. Niemand verachtet das alte südeuropäische Bündnis von Hochadel und Bürgertum mehr als die norddeutsche Aristokratie.

In seinem Wesen ist dieses Bündnis nämlich auf unendlichen Tausch angelegt. Oder auf sein Anderes, die Revolution. Willi Winkler, einst bayrischer taz-Kulturredakteur, begrüßte mich am Telefon mit den Worten: „Leute wie dich haben wir früher guillotiniert.“ Kluge Leute also wissen: Das Imaginäre erledigt sich im Handstreich oder gar nicht.

Der Nordosten aber ist nicht in der Dichotomie von Hof und Stadt, sondern von Junker und Gesinde angelegt. Wer im Nordosten seinen Adelsnamen nennt, schlägt seinen Gegenüber in Schweigen. Niemand beobachtet das besser als der bürgerliche décadent, der – aristokratisch in seinem Lebensgefühl – auf diese unmittelbare Wirkweise seines Namens verzichten muss. Nach der Wende begleitete Berlins letzter décadent, Nicolaus Sombart, seinen alten Freund, den Herrn von Jahnsfelde, auf die einstigen Besitzungen im Märkischen und konstatiert die Sprachlosigkeit des Volkes: „Am Kaffeetisch sitzt der Mann, der ostentativ schweigt, ein alter DDR-Kader, der in Jahnsfelde regiert hatte.“

Die große Geste aufs Eigene – die kleine Präposition der Herkunft, „von“ – begründet sich im Nordosten noch im Kurzschluss von Scholle und Familie. Das Glied zwischen dem Eigen- und dem Familiennamen ist hier geerdet.

Fritz v. Klinggräff