Auf Augenhöhe
: Döner bei Nacht

■ Von Thorsten Denkler

Ich war nicht eingeladen. Zumindest kannte ich die vermeintliche Gastgeberin nur flüchtig, und von dem Fest in der Wohnung ihres Freundes hatte ich nur über meine Bekannte Katrin erfahren, eine Arbeitskollegin von Ulrike, der vermeintlichen Gastgeberin.

Mit einer Flasche Wein bewaffnet kämpfte ich mich durch die Gästeschar und fragte nach Ulrike, die hier aber niemand kannte. Ich wähnte mich schon auf der falschen Party, bis sie selbst mich unerwarteterweise ansprach, ich ihr die Flasche Roten in die Hand drücken konnte und sie mir zum Dank den Weg zum Buffet zeigte. Nachdem wir uns eine Weile über ihren lausigen Job unterhalten hatten, ging sie mit ihrem Freund Bier holen. Eigentlich war er der wahre Gastgeber, denn er hatte in jener Nacht Geburtstag. Kaum war Ulrike weg, fragte mich eine charmante Schwarzhaarige mit englischem Akzent, wer ich denn sei. Ich antwortete, sie käme wohl aus England. Sie sagte, nein, aus Kanada.

Nun, wir unterhielten uns dennoch prächtig. Sie studiert in Berlin die deutschen Philosophen. Theodor W. Adorno hat es ihr besonders angetan. Außerdem will sie in spätestens 14 Jahren kanadische Premierministerin werden. Kein Spaß. Sie sagte zwar, sie werde nicht gezielt auf dieses Amt zusteuern, aber wenn sich die Chance ergebe, warum nicht. Während wir noch über die Frage, was Adorno eigentlich Neues in die deutsche Philosophie eingebracht hat, diskutierten, kam endlich meine Bekannte Katrin mit ihrer Freundin, die auch Katrin heißt. Das heißt, eigentlich gingen sie schon wieder: Katrin war müde und Katrin krank. Ich schloss mich an, weil auch meine Lider immer schwerer wurden.

In Berlin werden an jedem Wochenende um 1 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt. Deshalb fahren dann keine U-Bahnen mehr, sondern nur noch Nachtbusse. Am Hackeschen Markt musste ich umsteigen und verabschiedete mich von Katrin und Katrin. Es blieb noch etwas Zeit, einen Döner für die Fahrt zu kaufen.

Im Bus teilte mir der Fahrer mit, dass das Mitführen von Döner und anderen Fast-Food-Produkten schon seit Jahren nicht mehr erlaubt sei. Ich wollte mich gerne auf eine Diskussion darüber einlassen, ob ich meinen noch dampfenden Gutenachtsimbiss direkt in die nächste Mülltonne befördern, auf den nächsten Bus warten, oder ob der Fahrer nicht lieber Gnade vor Recht ergehen lassen solle. Er schob mir noch ein „Dann könnte ja jeder“ hinterher, dann mich ein Schwall Mitreisewilliger in den hinter Teil des Gelenkbusses.

Mir blieb nichts anderes übrig, als Platz zu nehmen. Ich glaubte mich schon in Sicherheit, als es nach ein oder zwei Haltestellen über die Lautsprecher tönte: „Der Herr mit dem Döner ist noch im Bus. Das riecht man bis hier vorne.“ Etwa 15 Augenpaare richteten sich zuerst auf meinen Imbiss, dann auf mich. Alle lächelten mitleidsvoll. Ein junge Frau gab mir den Tipp, das nächste Mal keine Zwiebeln zu nehmen, dann stinke es nicht so. Doch mein Döner enthielt keine Zwiebeln. Ihr türkischer Nachbar vertrat dagegen die Ansicht, es liege an der Knoblauchsoße. Das klang schon überzeugender.

Nichtsdestotrotz traute ich mich nicht mehr abzubeißen, aus Furcht, es könnte kleckern, was bei einem Döner durchaus erwartbar ist. Außerdem hatte ich keine Lust, mich mit einem obrigkeitsgläubigen Busfahrer über zermatschte Tomatenscheiben auf den Polstersitzen seines Fahrzeuges zu unterhalten. Nach einigen Minuten bemerkte eine weitere Mitfahrerin zutreffend: „Der traut sich ja wirklich nicht.“ Sie lachte dabei laut und zeigte mit dem Finger auf mich, sodass nun endgültig jeder im Bus wusste, wer der Dönermann war.

Etwa 1.000 Haltestellen weiter war ich endlich am Ziel. Ich verabschiedete mich brav von den mitleidsvollen Mitreisenden. Mein Döner war inzwischen kalt und landete dort, wo kalte Döner hingehören – im nächsten Papierkorb.