■ Nebensachen aus Bukarest: Warum Herr K. jetzt laut Musik hört
Herr K. ist Frührentner und ein angenehmer Nachbar. Normalerweise stellt er die Volksmusik im Radio nur mäßig laut und klopft im Gegensatz zu anderen höchstens einmal wöchentlich an die Tür, um Zigaretten oder Maismehl zu erbitten. Er wirft den Hausmüll meist in die Tonne statt aus dem Fenster. Kurz gesagt, Herr K. lässt leben, wenn andere ihn so lassen, wie er ist.
Neuerdings ist sein Vertrauen in dieses Prinzip jedoch erschüttert. Alles fing mit der Glühbirne auf dem Hausflur an. Sie war seit längerem durchgebrannt. Herr K. klagte darüber, fand sich aber schließlich damit ab wie mit einer Naturkatastrophe, gegen welche die Menschen machtlos sind.
Eines Tages stolperte Herr K. im dunklen Treppenhaus und zerschlug einige gerade auf dem Markt erworbene Eier. Da erinnerte er sich, dass er die Nebenkosten nie so unpünktlich wie andere bezahlt hatte, und beschloss zu handeln.
Er wollte den Hausverwalter alarmieren. Weil dieser aber zum Begräbnis seiner Schwiegermutter gereist war, bat er dessen Gehilfen, die Glühbirne auszuwechseln. Der Gehilfe, ein bekannter Trinker, sagte sofort zu. Zwei Tage später stand er mit einer Glühbirne in der Hand vor Herrn K.s Wohnungstür. Da der Gehilfe zu klein war, musste sich Herr K. selbst auf einen Hocker bemühen und die Glühbirne austauschen. Für das Auswechseln der Birne verlangte der Gehilfe den monetären Gegenwert einer Flasche Bier. Herr K. reagierte empört, doch der Gehilfe entgegnete, er habe die Glühbirne extra im Keller ausgeschraubt und in den ersten Stock getragen. Er erkämpfte einen Geldschein.
Wenig später stellte Herr K. fest, dass das Licht noch immer nicht brannte. Offenbar hatte sich beim Auswechseln der Glühbirne eines der Kabel gelöst. Herr K. beschloss nun, auf den Hausverwalter zu warten. Nachdem dieser seine Schwiegermutter unter die Erde gebracht hatte, versprach er, den Schaden zu beheben. Tatsächlich eilte er mit einer Leiter herbei. Auch er war zu kurz, um an die Kabel heranzureichen. So musste sich wieder Herr K. bemühen. Nun erreichte das Glühbirnen-Dramolett einen Wendepunkt. Der Hausverwalter hatte versichert, dass in den Leitungen kein Strom fließe, doch das stimmte ganz einfach nicht. Beim Versuch, die Kabel zu verbinden, bekam Herr K. einen Stromschlag, glitt von der Leiter und brach sich einen Fuß.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte Herr K. noch nichts vom glücklichen Ausgang der Geschichte. Die Ambulanz empfahl seiner Frau am Telefon, ihn per Taxi ins Krankenhaus zu bringen, da es gerade zu viele Notfälle gebe. Im Krankenhaus erfuhr Herr K., dass die Röntgenabteilung an diesem Tag bereits geschlossen und in der Chirurgie der Gips ausgegangen war. Herr K. schickte seine Frau in einen Baumarkt, wo sie einige Kilo des Stoffes kaufte. Damit legte der Arzt Herrn K. einen hübschen Verband an, und Herr K. legte dem Arzt dankbar-diskret einen Geldschein auf den Tisch. Tags darauf ließ Herr K. den Fuß röntgen. Der war nicht gebrochen, nur verstaucht.
Zu Hause angekommen, stellte Herr K. die Volksmusik erfreut auf volle Lautstärke. Die Nebenkosten bezahlt er jetzt so unpünktlich wie alle anderen. Das Licht im Hausflur benutzt er nicht mehr, obwohl der Hausverwalter die Kabel notdürftig zusammengesteckt hat. Herr K. trägt nun stets eine Taschenlampe bei sich. Keno Verseck
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