Querspalte

■ Prosa und Halbzeitpause

Als in den letzten Monaten immer wieder von Popliteratur die Rede war, hätte man es sich ja eigentlich schon denken können, dass in der Schriftstellerszene bald auch das ekligste Phänomen der Popkultur auszumachen sein würde: der Stadionrock. Jetzt ist es so weit, das Genre Stadionrock-Literatur ist so gut wie geboren.

Sozusagen den Ball ins Rollen gebracht hat unser aktueller Literaturweltmeister Günter Grass. Auf der Buchmesse bekannte er sich zum allseits beliebten SC Freiburg und deutete an, er könne sich eine Lesung in dessen Stadion vorstellen – was insofern verwunderte, weil Grass eigentlich als Fan des Hamburger SV galt, hatte er doch einen Roman über dessen famosen Torwart geschrieben („Der Butt“).

Noch viel seltsamer ist, dass die anderen großen deutschen Autoren bisher nicht nachgezogen haben. Welcher Rasen ist Martin Walser heilig? In welchem Mittelkreis will Benjamin von Stuckrad-Barre lesen? Hat Oskar Lafontaines Management schon das Saarbrücker Ludwigspark-Stadion für eine Show angemietet?

Genaueres weiß man immerhin von Walter Jens – und das schon lange. „Wenn ich den letzten Goethe-Vers vergessen habe, werde ich den Eimsbütteler Sturm noch aufzählen können“, schrieb er 1974 in einer glühenden Hommage an die Dreißigerjahre-Elf des Eimsbütteler TV. Aber man wird ihn wohl nie die Worte „Ahlers, Rohwedder, Panse, Mohr, Maack“ in einem Stadion rezitieren hören. Denn der ETV hat heute keines mehr, nur eine dörflich anmutende Spielstätte.

An Restaurants, Theater und Konferenzräume in Fußballarenen hat man sich ja gewöhnt, also wird sich auch das Unterhaltungssegment Stadionrock-Literatur durchsetzen – auch wenn die Vereine möglicherweise falsche Vorstellungen haben von der Länge einer Lesung (Freiburgs Manager Andreas Rettig meint, Grass könne „in der Halbzeitpause“ lesen). Interessant dürfte sein, wie sich die neue Allianz auf den Devotionalienmarkt auswirkt. Gibt es womöglich bald einen Schal mit dem Logo des SC Freiburg und dem Konterfei des Superdichters?

René Martens