Die Regierung hat sich selbst dementiert“

■  Ein Jahr Rot-Grün an der Macht: Umweltminister Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) bilanziert Fehler und „erstaunliche Marketingleistungen“ der Regierung, die Arbeit seines Ministeriums in Sachen, Atomausstieg und Klimaschutz – und sein Image als Buhmann. Er bereut „überhaupt nicht“

taz: Herr Trittin, wie oft am Tag bereuen Sie es eigentlich, zum Buhmann der Regierung geworden zu sein?

Jürgen Trittin: Überhaupt nicht. Ich habe vier Jahre lang im Bundesvorstand hart daran gearbeitet, die Partei an die Regierung zu bringen. Mir war klar, dass es für die Partei sehr schmerzhaft sein würde, ihre Identität als Regierungspartei zu finden. Aber wenn wir uns nicht an der Regierung beteiligt hätten, dann hätten wir heute keine ökologische Steuerreform, kein neues Staatsbürgerschaftsrecht, keine Verzwanzigfachung der Förderung regenerativer Energien – um nur drei Dinge zu nennen.

Die Rolle als Regierungspartei im Bund ist allerdings weder Rot noch Grün bei den vergangenen Wahlen gut bekommen. Ein paar kleine Fehlerchen scheinen doch gemacht worden zu sein?

Ja, natürlich. Wir haben uns zu sehr ans Abarbeiten all dessen gemacht, was in 16 Jahren Kohl-Regierung aufgelaufen war.

Ist das so schlecht?

Der Koalitionsvertrag war der größte gemeinsame Nenner an Hoffnungen beider Parteien. Allein im Umweltbereich sind 184 Projekte aufgelistet. Eine strategische Zielbestimmung unserer Regierungsarbeit für die nächsten Jahre wäre viel nötiger gewesen. Dem haben wir uns als Koalition nicht unterzogen.

Was war die Folge?

Der Konflikt zwischen Traditionalisten und Modernisierern in beiden Parteien wurde nicht angegangen, der Koalitionsvertrag war mehr ein entschiedenes Sowohl-als-auch – weshalb wir solche erstaunlichen Marketingleistungen vollbracht haben wie bei der Steuerreform: Da werden in den nächsten vier Jahren vom Normalbürger sage und schreibe 56 Milliarden Mark Steuern weniger eingezogen, da wird das noch solide gegenfinanziert – weniger Abschreibungsmöglichkeiten gerade für Großkonzerne, etwa der Versicherungsbranche oder der Energiewirtschaft –, da wird das Kindergeld über die Wahlversprechen der SPD hinaus erhöht, und wir verkaufen das als „Sparpaket“!

Wie verkaufen Sie's?

Da ist ein realer Prozess von Umverteilung in Gang gesetzt worden, an dessen Ende 2002 der Anteil der Lohnsteuer am gesamten Steueraufkommen erstmals seit langem sinkt statt steigt und dann 18 Prozent unter dem Satz von 1998 liegen wird.

Und warum ist das nicht rübergekommen?

Weil die Regierung sich selbst dementiert hat. Sie hat ihre positive Politik konterkariert, weil beide Regierungspartner zeitweise mehr mit Richtungskämpfen in den eigenen Reihen beschäftigt waren.

Schlimmer für die Grünen war der Atomausstieg: Der grüne Minister verhandelt wie vereinbart, die Atombosse arrangieren sich derweil mit dem Kanzler.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Atomindustrie über die Verzögerung der Atomgesetznovelle heute noch froh ist.

Wieso denn nicht? Der Coup war ein schöner Erfolg für die Vorstandschefs.

Wie man's nimmt. Hätten die Unternehmen unser damaliges Angebot mit dem Atomgesetz angenommen, hätten sie sich viel Ärger erspart. Sie hätten eine gesicherte Rechtsgrundlage für den Entsorgungsnachweis und damit eine größere Betriebssicherheit als jetzt, wo sie auf politisch und sicherheitstechnisch riskante Transporte oder andere Hilfsmaßnahmen angewiesen sind.

Es war nur ein Rundengewinn für die Stromkonzerne?

So könnte man es sehen. Jedenfalls spitzen sich in diesem Fall durch Verzögern die Dinge zu ...

... weil sich die Genehmigung der Transporte so lange hinzieht, dass vielleicht einige AKWs im nächsten Jahr wegen voller Abklingbecken vorübergehend stillgelegt werden müssen. Kommt dadurch der angekündigte Konsens noch in diesem Winter?

Wir wollen den Konsens. In jedem Fall aber braucht der Atomausstieg – sei es im Konsens oder im Dissens mit der Industrie – eine gesetzliche Grundlage. Der Kompromiss – Sicherheit des Betriebs gegen Befristung des Betriebs der Atomkraftwerke – wäre für beide Seiten von Vorteil.

In Bonn treffen sich an diesem Montag die Regierungen der Welt zu Klimaverhandlungen. Die Regierung Kohl hat da einige Erfolge, z. B. hat sie den Ausstoß des wichtigsten Treibhausgases Kohlendioxid um mehr als zehn Prozent reduziert.

Im Klimaschutz ist Deutschland vorne. Nur drei Länder der Erde haben ihre Emissionen gesenkt, alle anderen stoßen im Vergleich zu 1990 mehr Klimagase aus. Ein großer Teil der Einsparungen hierzulande kommt aus dem Zusammenbruch der DDR-Industrie, ein weiterer aus der effizienteren Produktion bei der Industrie.

Sehen Sie nicht zwangsläufig blass aus gegen das von Amtsvorgängerin Merkel Erreichte?

Wieso? Kohl und Merkel haben ein ehrgeiziges Klimaschutzziel formuliert, aber kaum etwas dafür getan. Klimapolitisch haben sie vor allem vom Fall der Mauer profitiert. Kohl hat aufs Ordnungsrecht verzichtet, damit die Industrie Selbstverpflichtungen eingeht. Wir gehen jetzt die zweite Hälfte der zugesagten 25 Prozent Minderung an. Dabei können wir uns nicht noch einmal auf Mauerfall-Profite verlassen. Was wir hier in zwölf Monaten angepackt haben, hat Kohl in 16 Jahren nicht erreicht. Maßnahmen im Bereich der Industrie, aber auch im Bereich der privaten Haushalte und vor allem beim Verkehr sind vordringlich, denn dort nimmt der Ausstoß an Klimagasen derzeit zu statt ab.

Dann müssen Sie aber auch an das Verhalten der Privatleute und damit der Wähler heran.

Ja, die Emittenten sind nicht mehr die anderen, sondern jeder selbst. Deshalb haben wir die Ökosteuer auf den Weg gebracht, die Einführung von schwefelfreien Kraftstoffen beschlossen, erneuerbare Energien und Kraft-Wärme-Anlagen gefördert, Wettbewerbsnachteile für Gaskraftwerke beseitigt und und und. Beim Hauptproblem der Luftreinhaltung, dem Schwerverkehr, haben wir die Weichen gestellt für verbindliche Stickoxid-Katalysatoren, Rußpartikelfilter und eine entfernungsabhängige Schwerverkehrsabgabe ab 2001.

Kommt mit der ökologischen Steuerreform wieder die „Fünf Mark pro Liter Sprit“-Diskussion?

Ach wo. Wir haben beschlossen, diese Steuer in behutsamen Schritten stetig zu erhöhen. Damit ist eine notwendige Voraussetzung für einen Lenkungseffekt gegeben. Jeder weiß, womit er rechnen muss. Beim Sprit sind es jährlich 6 Pfennig pro Liter, bei der Stromsteuer 0,5 Pfennig je Kilowattstunde mehr. Das ist der Pfad bis zum Ende der Wahlperiode.

Was passiert, wenn die USA oder andere Länder eventuelle Beschlüsse der Klimakonferenzen einfach ignorieren?

Die entscheidende und auf Bonn folgende Klimakonferenz in Den Haag wird wohl auf Anfang 2001 verschoben. Aber die USA und deren Exportbranchen haben doch auch ein Interesse an weltweiten Regelungen, wie zum Beispiel die anstehenden WTO-Verhandlungen.

Und wenn die Verhandlungen doch scheitern?

Müssen es allerdings zuerst die ausbaden, die ziemlich nah am Wasser wohnen. Interview:

Maike Rademaker

Reiner Metzger