Sie sind verrückt genug

■ Marken im Internet: Meistens bierernste Eigenwerbung / Bremer Agentur stellt dagegen Sierra Tequila ganz trashig ins wwweb mit allem, was nicht hype ist

„Sind Sie auch verrückt genug?“. Andrea Schulz und Andreas Ollmann waren es: Verrückt genug die Web-Präsentation von Sierra Tequila zu übernehmen. Denn die Hamburger Schnapsfirma wollte alles, nur keinen seriösen Internet Auftritt.

Seit vier Wochen ist sierratequila.de jetzt im Netz, diese Woche geht dann obendrein die englische Version für den Rest der Welt online. Dabei sieht das Ganze aus wie vor zehn Jahren, als das Internet noch in den Schnürschuhen steckte. „Wir haben bewusst an dem vorbeigestaltet was gerade hype ist“, sagt Andrea Schulz von der Bremer New-Media-Agentur „Art und Weise“.

Zum Beispiel macht die Tequila-website Siesta. Das passt zu Mexiko. Und das persifliert „die Idee im Internet, alles 24 Stunden, rund um die Uhr kriegen zu können.“ Von 16 bis 18 Uhr ist dann nicht viel zu sehen beim Schnapsbrenner. Nur ein Gewinnspiel: Der „Langweiler der Woche“ kann eine Hängematte gewinnen. Der Langweiler muss nur dauernd online bleiben. Und dauernd sinnlose pop-up Fragen beantworten, die sich nach einer Stunde alle wiederholen.

Aber trotz Siesta-Zeit und endlos-Fragen ist viel los auf der Site. „Manche haben stundenlang den Rechner an“, nur um den Langweiler-Titel zu kriegen. Dafür muss man Dauer-Tequila-Surfer sein. Wer am längsten auf der Site bliebt, bekommt die Hängematte (die man genauso gut auch hätte kaufen können).

10.000 hits haben die Schulz und Ollmann in den ersten vier Wochen gezählt. Die Seite der Bremer ist ein echter Hit. „Die Leute erwarten Spaß. Was die bestimmt nicht wollen, sind Informationen, wie Tequila hergestellt wird“, erzählt Schulz.

Richtig bunt wird es erst nachts auf der Seite: Dann gibt es ein Casino. Keinen Langweiler der Woche, aber so klasse Spiele wie „Kaktus gießen“. Statt schrill und bunt und blinkend ist auch hier nichts perfekt. Dumpfes Design statt der high-end Technik der Spiele-Welt. Der Kaktus und der Wassertropfen – das erinnert an die Anfangszeit des Computers. Nichts Aufregendes. Ein bisschen wie herunterfallende Bauklötze in der Nintendowelt. Trotzdem: „Die spielen wie irre dieses blöde Kaktus-Giessen,“ lacht Ollmann. Denn dafür gibt es einen Käfer zu gewinnen. Einen im Jahr. Ausgelost unter den 52 Wochengewinnern.

Immer mehr Marken tummeln sich mit der eigenen Site im Netz. Rund 80 Prozent der großen Markennamen präsentiert sich online, schätzt Ollmann. Und die User, Naschkatzen, Säufer, Shampoo-Sammler tippen immer häufiger ihre Lieblingsmarke und „de“ dahinter ein. Und siehe da: Ihr Suchtprodukt ist tatsächlich im Netz. Und um die Surfer bei der Stange zu halten, wird verlost, was das Zeug hält. Gewinnspiele wie annodazumal per Postkarte, nur jetzt per email.

Die meisten sites aber sind bieder. Die waren schon im Netz als alles gerade anfing, sagt Ollmann. Und seitdem hat sich da nicht immer viel verändert. „So verrückt wie Tequila war keiner“, sagt der Projektmanager stolz. Der mit der Webgestaltung die Internet-Szene ein kleines bisschen hopps nehmen will:

Mit einer Tages-, Nacht- und Siesta-Seite, wo man doch sonst im Netz nicht zwischen morgens und abends unterscheidet. Mit Webtapeten, die schon ewig lange nicht mehr modern waren. Und zusätzlich mit aufgepappten Foto-Collagen statt dreidimensional bewegter Bilder.

Tagsüber bietet man einen Fernseher: Viel sehen kann man da nicht: nur Wüste. Immer nur Wüste. Schrill gezeichnet. Zur Siesta-Zeit am Nachmittag gibt es nicht mal mehr Wüste: nur noch Testbild.

Wer will das eigentlich sehen? „Viele“, sagen Schulz und Ollmann. Denn gerade in der Mittagspause wird gesurft, was das Zeug hält. Flimmern Testbilder übers Netz. Werden Langeweiler der Woche ermittelt: „Den Peak Mittags wollten wir nicht verpassen“. Deswegen wurde die Siesta dann auch auf den Spätnachmittag verlegt. Das ist die absolute Siesta-Unzeit im Netz.

pipe