So eine Lesereise ist kein großer Spaß

■ Bigmouth strikes again: Der Popautor Benjamin von Stuckrad-Barre hat mit „Livealbum“ ein neues Buch geschrieben und liest daraus heute Abend im Mojo-Club

Benjamin von Stuckrad-Barre (im folgenden Stucki genannt, der Einfachheit halber) schreibt eigentlich Jungs-Bücher, hat aber dennoch eine Menge weibliche Fans. Sein Debütroman Soloalbum ließ nicht ganz tief, aber doch tief genug in die Seele eines von seiner Freundin verlassenen jungen Mannes blicken. Der sperrt sich in seiner Wohnung ein, spricht alberne Sprüche auf seinen Anrufbeantworter, tröstet sich mit Oasis, onaniert quasi ununterbrochen und droht hier und da völlig zu verelenden. Britpopper dürfen ruhig auch mal weinen, und manchmal, da fühlt man sich ja auch ganz wohl im eigenen Kummer, wenn er denn richtig gepflegt wird. Das fanden auch Mädchen ganz interessant.

Am groben Handlungsstrang von Soloalbum entlang führte Stucki einen groß angelegten Kreuzzug gegen die leichtesten Feinde: Busfahrer und Marktforscher, Rock- und Drum-'n'-Bass-DJs, Sozialpädagogen, Jungunternehmer, Kiffer, Werber, Studenten. Privatfernsehen, Ikea, H&M: alles Schlampen außer Oasis. Vieles davon war sehr scharf beobachtet, und es ist auch in Ordnung, dass es mal einer gesagt hat. Aber: Wir haben verstanden.

Allerdings hat Stucki eines geschafft: dass selbst diejenigen Jungs wieder anfingen zu lesen, die Nick Hornby verpasst hatten und deren letztes Projekt in dieser Hinsicht in etwa Die letzten Kinder von Schewenborn war. Die kauften Nick Hornby dann nachträglich und auch alles andere, was hippe Stadtmagazine als „Popliteratur“ bezeichneten. Denn Pop steht jedem gut.

Doch mit seinem neuen Roman Livealbum versucht Stucki wieder auf Nummer Sicher zu gehen und führt den Kampf gegen die alltägliche Pest weiter. Der namenlose Protagonist erzählt von den Erlebnissen auf seiner Lesereise, und nebenbei erfahren wir eine Menge Dinge, die wir schon lange wissen, ahnen oder einfach nicht so wichtig finden: Uwe Ochsenknecht findet Techno nicht so toll; Dietrich Schwanitz dagegen hört in seinem Auto Rondo Veneziano; Studenten führen in ihren Wohnheimversammlungen gerne blödsinnige Diskussionen darüber, was sie für den „Fetenraum“ anschaffen könnten; und Talkshows in den Dritten Programmen haben nicht so viele Zuschauer.

Livealbum kann sehr gut herhalten als eine Warnung an alle junge Menschen mit Berufswunsch Popautor. So eine Lesereise scheint kein großer Spaß zu sein. Uwe Ochsen-knecht und Dietrich Schwanitz ist man unter Umständen ebenso ausgeliefert wie diskutierenden Studenten. Und dann muss man auch noch schlaues Zeug in genau den Talkshows von sich geben, die sich sowieso niemand ansieht. Außerdem hängt man wegen all dem Ärger ständig kotzend überm Klo. Das ist kein Leben, und das weiß auch der Protagonist, dessen einziger Höhepunkt auf seiner Lesereise der Abend ist, an dem er mit seinem alten Kumpel und Popautor Christian Kracht gemeinsam lesen soll. Wird nicht so richtig was, ist aber „rockstaresk“, wegen Kokain aus Vizir-Umweltkugeln und so weiter. Und danach geht es dann wieder ab in die Regionalbahn, zur nächsten Lesung in irgendeinem DGB-Zelt oder irgendeiner Kulturfabrik oder gemeinsam mit Krachti zum Foto-shooting für den neuen Peek-&-Cloppenburg-Prospekt. Das ist der Glamour der Provinz.

Stucki ist gleichzeitig FAZ-Redakteur und Popautor, und das ist seine wirklich große Leistung. Zum Popautor und „Sprecher der jungen Generation“ wurde er erklärt von Leuten, deren eigene Jugend schon meilenweit zurückliegt und sich offenbar gedacht haben: „Das ist die Generation Berlin: voll zynisch und unfähig, den nächsten Altglascontainer zu finden. Witzig.“ Meike Fries

heute, 20 Uhr, Mojo-Club; Benjamin von Stuckrad-Barre: „Livealbum“. Erzählungen. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999, 254 Seiten, 16,90 Mark