Lust in the Dust

Die amerikanische Modetheoretikerin Valerie Steel betrachtet Schuhe aus dem Blickwinkel der Lust  ■   Von Nike Breyer

Wussten Sie, dass Schuhabsätze nicht nur hoch, steil und dünn wie ein Bleistift sein können, sondern gelegentlich auch so dick wie ein berühmtes männliches Körperteil? „Thick as a penis“, wie es im Original des jetzt bei DuMont neu herausgekommenen Bildbandes „Schuhe“ heißt?

Das kommt davon, wenn Frauen schreiben. Genauer gesagt, wenn es Valerie Steel ist, die sich an den Computer setzt. Die amerikanische Modehistorikerin und Modetheoretikerin ist von wenig Scheu geplagt, eventuelle Wissenslücken ihrer Leser und Leserinnen durch ungeschminkte Wahrheiten zu beseitigen – für Europäer im Tonfall mitunter gewöhnungsbedürftig. Ursprünglich erschien „Schuhe“ als begleitender Katalog zur Ausstellung „Shoes“, die die promovierte Kunsthistorikerin Anfang des Jahres für das Fashion Institute of Technology in New York kuratierte. Gerade mal sechs Monate nach Ausstellungsende liegt er nun also schon als gebundener Bildband in deutscher Übersetzung vor.

Mögen in der Ausstellung, die rund 150 ausgefallene Modelle des 20. Jahrhunderts zeigte, naturgemäß die Schuhe im Mittelpunkt gestanden haben, das Buch selbst behandelt in Text und Bild erstens Sex, zweitens Sex und drittens sexuelle Symbolik.

Nachdem Valerie Steel bereits 1985 ein Buch über „Mode und Erotik“ und 1996 ein weiteres zu „Fetisch – Mode. Sex und Macht“ veröffentlichte, darf man wohl auch Arbeitsökonomie vermuten, wenn das Thema Schuhe nun wiederum weitgehend unter der Perspektive von Geschlechterverhalten und Geschlechterverhältnissen aufgerollt wird. In den späten neunziger Jahren freilich, in denen unser Zugang zu Mode und ihren Accessoires sehr viel stärker durch moderne Aspekte wie Sport und die innovative Technik neuer Materialien und Herstellungsmethoden geprägt ist, wirkt Steels Perspektive etwas unzeitgemäß und altmodisch.

Abgesehen von gelegentlichen Exkursionen, in denen zeitliche oder technische Bestimmungen von Schuhen vorgenommen werden, fehlen dem Buch also neue Informationen und Thesen. Es zeigt sich vor allem, dass Valerie Steel die Entwicklungen, zum Beispiel im Bereich des Sport- und Turnschuhs, nicht wirklich verfolgt und stattdessen allein auf der sexuellen Symbolik als Ultima Ratio der Formgebung und des Materialgebrauchs besteht.

So dürfen wir zum zigsten Mal die allseits bekannte Plattitüde darüber lesen, dass Absätze die Körperhaltung verändern, weil sie Po und Busen heben, dass sie aber gleichzeitig ungesund für das Quergewölbe des Fußes sind. Und weiter, dass Absätze als weiblich gelten und der Frau das komplexe Gefühl von Behinderung und Überlegenheit zugleich verleihen.

Immerhin – und das ist in einem Stärke und Schwäche des Buches – weist es eine ungewöhnlich hohe Zitatendichte auf, und so kann man, was man eh schon weiß, hier noch einmal besonders amüsant formuliert finden. Die Cartoonistin Mimi Pond fasst etwa im Vorwort ihre persönliche Schuhbegeisterung in die Worte: „Schuhe sind Zuckerzeug für die Augen und Poesie für die Füße.“ Und falls sich da bei irgendjemandem ein schlechtes Gewissen melden sollte, hat sie immerhin die Ermunterung parat, dass „Schuhkauf die höchste Form des Shopping“ ist.

In fünf Kapiteln behandelt „Schuhe“ dann die Themen High Heels, also Stöckelschuhe, Schuhe & Sex, „... als ginge man barfuß“, also Sandalen, die „gestiefelte Amazone“ und den Turnschuh oder Sneaker Chic.

Das reiche, vielseitige Bildmaterial in hervorragender fotografischer Qualität tröstet dann durchaus über das oberflächliche Informationssampling hinweg. Zumal der Verlag DuMont den Preis für das Buch, das in seiner neuen Reihe „Monte von DuMont“ erscheint, gegenüber der englischen Ausgabe erheblich gesenkt hat. Für dreißig Mark ist „Schuhe“ schließlich doch ein attraktives Angebot.

Valerie Steel: „Schuhe“. DuMont Verlag, Köln 1999, 192 S., zahlr. farb. Abb., 29,20 DM. Von der gleichen Autorin zusammen mit Laird Borrelli: „Handtaschen“. 192 S., zahlr. farb. Abb., 29,90 DM.